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Vielleicht anders, doch umso tiefer verbunden

Posted in Vorbilder on 8. Juli 2011 by Täglichläufer

Während meines Rückweges näherte ich mich der einleitenden Schranke des Dammes, wenngleich noch etwas entfernt. Im Wald erspähte ich zuvor einen parkenden Kleinbus, der sogleich kausal mein Gesichtsausdruck verfinsterte, da ich grundsätzlich nicht nachvollziehen kann, was Autos im Wald verloren haben. Und auf dem Weg dorthin kamen mir einige Jugendliche entgegen, welches meiner Stimmung ebenfalls nicht sonderlich zuträglich war. Schließlich äußerte ich mich erst vor kurzem sehr kritisch über jenes Gebaren: „Sodann brüllten sie, lärmten, kreischten, lachten; Schreie gellten durch den Hain – sie rannten, brachen in das Unterholz, verließen die gewohnten Wege. Einige Jugendliche zeichneten sich durch exorbitantes natürliches Interesse aus; mit dem Handy spielend, die Zigarette lässig im Mund steckend, marschierten sie mit aktiviertem MP3 Player arrogant respektlos durch die Botanik.“ Wie sah der Forst anschließend aus? „Nun, muß ich noch erwähnen, wodurch sich der Rückweg auszeichnete? Abgerissene Blätter allenthalben, abgebrochene Zweige; kleinere zerstörte Bäume wie Sträucher, niedergetretene Pflanzen, Zigarettenkippen auf dem Waldweg und diverser anderer Müll.“

Doch heute sollte mein aufkeimendes Mißtrauen nicht bestätigt werden. Die Jugendlichen, welchen ich nun begegnete, waren allesamt „behindert“. Ein unwürdiges Wort; zu negativ assoziiert und inadäquat. Was bedeutet behindert? Wer definiert das? Mit welchem Recht? Wo sind die Grenzen? Was ist normal? Existiert das überhaupt? Normalität? In dieser Zeit? In dieser Gesellschaft? Und Welt? Wie dem auch sei, diese jungen Menschen fielen mir sofort in gegenteiliger, positiver Hinsicht auf. Sie waren außerordentlich ruhig, verhielten sich nahezu ehrfürchtig still, rannten nicht wild umher, hörten keine Musik und achteten den Pfad. Ja, sie besaßen Achtung – sie respektierten diese ihre Umwelt, dieses Habitat des Lebens. Ich konnte ihnen sofort ansehen, daß sie nicht gelangweilt oder genervt ob dieser herrlichen Natur waren, nein, für sie war der Ausflug ein richtiges Erlebnis, ein wahrer Höhepunkt. Ihre Gesichter haben sie verraten; ihre freudigen Augen. Ihr ehrliches Interesse und Staunen. Die Jugendlichen, die ich in meinem „Über das Versagen“ Artikel skizzierte, widerten mich nur an, aber diese sogenannten „Behinderten“, ja, mit ihnen fühlte ich mich verbunden.

Und ich gestehe, während ich an ihnen vorüber lief, verglich ich sie in Gedanken mit den „normalen“ Jugendlichen – wer kann es mir verdenken, daß ich mich in diesem Moment fragte, wer da eigentlich behindert ist? Für mich war es eine Freude zu erleben, mit welchem Respekt sie sich in der Natur bewegten und wiederum ihre gezeigte Freude zu beobachten. Gleichwohl wurden meine Gedanken latent getrübt, da sich zum einen mein Mitgefühl die Bahn brach und freilich die nicht neue Erkenntnis, wie fragil doch das Leben, die Gesundheit ist. Explizit auch in dem Kontext, daß ich seit über zehn Jahren täglich laufen darf. Doch wie schnell kann sich dies alles in das große Nichts verflüchtigen? Heute noch stark und routiniert und in einer Woche im Rollstuhl – so wie der junge Mann auf dem Damm, der lächelnd die Baumkronen beobachtet, wie sie sich behutsam im Wind bewegen, der zärtlichen Hand des Sturmes unterwerfen. Niemand ist vor nichts gefeit und die meisten Menschen beschäftigen sich erst mit derartigen Themen, wenn es zu spät ist. Viel zu spät.

Für mich war diese Jugendgruppe ein leuchtend herausragendes Beispiel. Auf den ersten Blick mögen sie vielleicht „behindert“ sein, aber während unserer kurzen Begegnung waren sie mir viel näher als damals die vermeintlichen normalen Jugendlichen. Die folgende wahre Anekdote veröffentliche ich hier wiederholt. Scheinbar konvergiert sie nicht mit dem zentralen Thema des Beitrages und doch, sie schließt sich nahtlos an und spannt den Bogen zum Laufsport, Sport per se. Sie verkörpert par excellence das, was ich unter „Sport“ verstehe, äquivalent Respekt und Achtung der Natur gegenüber und angemessenes Agieren in selbiger. Wie in der beobachteten Form der Jugendlichen auf dem Damm, mit ihrem elementaren Gefühl für das Wesentliche im Leben. Ein jeder möge dies für sich selbst interpretieren. Darüber kann man nachdenken. Oder auch nicht.

Vor langer Zeit starteten bei einer Leichtathletikveranstaltung neun Athleten zum Sprint über 100 Meter. Sie alle waren körperlich oder geistig behindert. Der Startschuß fiel und der Lauf begann. Nicht alle wollten die sogenannte Bestzeit laufen, aber alle wollten dabei sein und mit ein wenig Glück auch gewinnen. Als sie ein Drittel der Strecke hinter sich hatten, stolperte einer von ihnen, überschlug sich und fiel hin. Er begann zu weinen. Die anderen Acht hörten das, hielten inne und schauten sich um. Sie blieben stehen und gingen zurück. Alle. Ausnahmslos.

Eine junge Frau mit Down-Syndrom kniete bei ihm nieder, nahm ihn in die Arme und fragte: „Geht es dir jetzt besser?“ Anschließend gingen alle Neun gemeinsam über die Ziellinie. Schulter an Schulter. Das Publikum erhob sich von den Plätzen und applaudierte. Der Beifall währte sehr lange. Die das sahen, werden diese Szene nie vergessen können. Warum eigentlich?

Weil wir tief in uns wissen, daß es Wichtigeres im Leben gibt als zu gewinnen. Eines der wichtigsten Dinge in diesem Leben besteht darin, anderen Menschen zum Sieg zu verhelfen. Schwache Menschen zu unterstützen und ihnen beizustehen. Auch wenn das bedeutet, den eigenen Lauf zu verlangsamen oder seine Richtung zu ändern. Eine Kerze vergibt nichts, wenn sich eine andere an ihr entzündet.

Wahrer Sport

Posted in Vorbilder on 6. März 2009 by Täglichläufer

Von der folgenden Anekdote ist mir der Autor nicht bekannt; zudem weiß ich nicht, ob sich diese Begebenheit explizit in der hier beschriebenen Form so zugetragen hat. Vielleicht ist die Geschichte auch nur erfunden. Doch all dies ist irrelevant. Der Sinn, der sich dahinter verbirgt, ist wahr und gewaltig. Ich definiere jene Personen mit ihrem Verhalten als Vorbilder und genau dieses Handeln verdeutlicht, was ich unter Sport verstehe. Gelebter Sport von wahrhaft großen Sportlern. Denn ich betrachte Sport in erster Linie nicht als körperliche Leistung, sondern als geistige Einstellung – als ein faires Miteinander und ehrliches Agieren zu sich selbst und zu seinen Mitmenschen.

Vor langer Zeit starteten bei einer Leichtathletikveranstaltung neun Athleten zum Sprint über 100 Meter. Sie alle waren körperlich oder geistig behindert. Der Startschuß fiel und der Lauf begann. Nicht alle wollten die sogenannte Bestzeit laufen, aber alle wollten dabei sein und mit ein wenig Glück auch gewinnen. Als sie ein Drittel der Strecke hinter sich hatten, stolperte einer von ihnen, überschlug sich und fiel hin. Er begann zu weinen. Die anderen Acht hörten das, hielten inne und schauten sich um. Sie blieben stehen und gingen zurück. Alle. Ausnahmslos.

Eine junge Frau mit Down-Syndrom kniete bei ihm nieder, nahm ihn in die Arme und fragte: „Geht es Dir jetzt besser?“ Anschließend gingen alle Neun gemeinsam über die Ziellinie. Schulter an Schulter. Das Publikum erhob sich von den Plätzen und applaudierte. Der Beifall währte sehr lange. Die das sahen, werden diese Szene nie vergessen können. Warum eigentlich?

Weil wir tief in uns wissen, daß es Wichtigeres im Leben gibt als zu gewinnen. Eines der wichtigsten Dinge in diesem Leben besteht darin, anderen Menschen zum Sieg zu verhelfen. Schwache Menschen zu unterstützen und ihnen beizustehen. Auch wenn das bedeutet, den eigenen Lauf zu verlangsamen oder seine Richtung zu ändern. Eine Kerze vergibt nichts, wenn sich eine andere an ihr entzündet.

Nur der Schwache wappnet sich mit Härte.
Wahre Stärke kann sich Toleranz,
Verständnis und Güte leisten.

(Dr. Tilly Boesche-Zacharowski)

Bleib Menschen fern,
die Deine Ambitionen belächeln.
Kleine Menschen tun das immer,
aber die wirklich Großen
geben Dir das Gefühl,
daß auch Du groß werden kannst.

(Mark Twain)

Junggebliebene Vorbilder

Posted in Gedichte & Zitate, Vorbilder on 2. November 2008 by Täglichläufer

Ich erwähne es nicht zum ersten Mal, unsere heutige Gesellschaft betrachte ich als faul und bequem. Wir erziehen unsere Kinder zur Unsportlichkeit und wundern uns anschließend über die Konsequenzen dieser Erziehung, manifestiert in Unbeweglichkeit, Adipositas und diversen weiteren Auswirkungen zum Wohle der Pharmaindustrie und der Pseudogesundheitsmaschinerie. Beispielsweise verwaisen in Bahnhöfen die normalen Steintreppen – während Rolltreppen den alltäglichen Ansturm kaum bewältigen können. Dabei absolviert man simple Treppen mindestens in der doppelten Geschwindigkeit, allerdings verfolgt von entsetzten Blicken der Rolltreppenfraktion. Wie dem auch sei. Heute thematisiere ich das eklatante Gegenteil. Nach meiner Intention Vorbilder für die Gesellschaft und vielleicht auch für die Jugend – auf jeden Fall für mich.

Während meiner Läufe treffe ich fast täglich ein Walkerehepaar, wahrscheinlich zwischen 60 und 70 Jahre alt (sämtliche Jahresangaben in diesem Beitrag sind geschätzt). Höchst engagiert und schnellen Schrittes absolvieren sie ebenfalls ein Teil meiner Laufstrecke. Stets mit einem lächelnden Gesicht und immer freundlich. Ebenso zwei weitere Walker, ca. 75 Jahre und 80 Jahre alt. Letzterer mit Stöcken, die er humorvoll salutierend schwingt, sobald er mich erspäht. Ihnen ist gemeinsam, daß sie ihren Sport nicht unregelmäßig praktizieren, sondern ganzjährig mit ernsthafter Beständigkeit. Weiterhin eminent auffallend, ihre sichtbare Freude an der Bewegung. Seit langem grüßen wir uns und von Zeit zu Zeit entsteht ein Gespräch. Ich bewundere diese Menschen. Voller Freude, Kraft und Zuversicht geben sie sich ihrer Leidenschaft hin und unterstützen ihre Gesundheit, Körper und Geist. Folgende Person habe ich hier bereits erwähnt. Ein Läufer, um die 70 Jahre alt – er läuft bei Minusgraden in kurzer Hose und freiem Oberkörper! Dieser Mann verdient meinen höchsten Respekt. Ich wünsche mir, daß ich in diesem Alter eine ähnliche Agilität vorweisen kann.

Soeben beschriebene Menschen mögen zwar schon viele Lebensjahre hinter sich haben, aber sie sind jung geblieben. Im Geist! Und der Geist befiehlt den Körper. Tu si animo regeris, rex es, si corpore servus. Man sieht es ihnen an. Wenn ich an die Olympiateilnehmer oder sonstige sogenannte Leistungssportler denke und ich mir die Frage stellen muß, ob dort überhaupt noch jemand ohne Doping Leistungen erbracht hat und sie sich damit als Vorbilder bravourös selbst deklassieren – da sie sportliche Ideale wie Fairneß und Ehrlichkeit mit Füßen treten – und somit keine Sportler mehr sind; fallen mir die Menschen, denen ich täglich begegne in einem exponierten Rahmen auf. Für mich sind das die wahren Vorbilder. Lächelnde Vorbilder. Starke Menschen. Ich wünsche ihnen ein langes Leben, denn ich möchte ihnen noch oft begegnen und mich an ihrer Stärke und Hoffnung erfreuen.

Jung sein!

Die Jugend kennzeichnet nicht einen Lebensabschnitt,
sondern eine Geisteshaltung;
sie ist Ausdruck des Willens,
der Vorstellungskraft und der Gefühlsintensität.
Sie bedeutet Sieg des Mutes über die Mutlosigkeit,
Sieg der Abenteuerlust über den Hang zur Bequemlichkeit.

Man wird nicht alt, weil man
eine gewisse Anzahl Jahre gelebt hat:
Man wird alt, wenn man seine Ideale aufgibt.
Die Jahre zeichnen zwar die Haut
– Ideale aufgeben aber zeichnet die Seele.
Vorurteile, Zweifel, Befürchtungen
und Hoffnungslosigkeit sind Feinde,
die uns nach und nach zur Erde niederdrücken
und uns vor dem Tod zu Staub werden lassen.

Jung ist, wer noch staunen und sich begeistern kann.
Wer noch wie ein unersättliches Kind fragt: Und dann?
Wer die Ereignisse herausfordert
und sich freut am Spiel des Lebens.

Ihr seid so jung wie Euer Glaube.
So alt wie Eure Zweifel.
So jung wie Euer Selbstvertrauen.
So jung wie Eure Hoffnung.
So alt wie Eure Niedergeschlagenheit.

Ihr werdet jung bleiben,
solange Ihr aufnahmebereit bleibt:
Empfänglich fürs Schöne, Gute und Große,
empfänglich für die Botschaften der Natur,
der Mitmenschen, des Unfaßlichen.
Sollte eines Tages Euer Herz
geätzt werden von Pessimismus,
zernagt von Zynismus,
dann möge man Erbarmen haben
mit Eurer Seele – der Seele eines Greises.

(Marc Aurel)