Vor ein paar Tagen führte ich ein Gespräch über mein Täglichlaufen. Als Auslöser konnte ich meine variierenden Laufzeiten ausmachen. Ein Grußfreund vermißte mich bereits; ich „beruhigte“ und erklärte ihm, daß ich nach wie vor täglich dort laufe – nur die Zeiten wären nicht statisch. Das waren sie nie. Somit sprachen wir ausführlich über meinen Stil und was eigentlich im Detail dahinter steckt. Bei aller Simplizität des Terminus – bleibt es doch für Nichtläufer abstrakt und auch in der Läuferwelt bilden wir nur eine Minorität, die nebulös und bisweilen verrückt erscheint. Die folgenden Fragen konzentrierten sich auf die Motivation – im Kontext der Witterung sowie Krankheiten, Regeln und Kontrolle selbiger. Ich habe jene Themen auf meiner Seite eingehend behandelt, dennoch wird dies ein erklärender Artikel, zumal hier in letzter Zeit sehr viele Erstleser über Suchmaschinen einsteigen, die sich offenbar mit dem Täglichlaufen näher auseinander setzen möchten. Ergo geht es heute um die beiden letzten Punkte.
Regeln? Damit verhält es sich ebenso wie mit dem Täglichlaufen an sich. Das ist eine sehr individuelle Geschichte. Auf der persönlichen Ebene. Unabhängig davon existiert in den USA eine Täglichläufervereinigung, die für ihre Mitglieder Regeln definiert hat. Für deutsche Täglichläufer ist das natürlich ohne jedwede Bedeutung. So wie die hiesigen Täglichläufer nicht in der Wahrnehmung der USA erscheinen, verhält es sich umgekehrt ähnlich – ausländische Regeln sind irrelevant – mich interessiert das nicht. Kommen wir zu meinen eigenen Regeln, die wiederum sehr simpel sind. Die elementarste besagt, daß heute gelaufen wird. Also pro Tag ein Lauf. Daraus resultiert die Distanzfrage. Ebenfalls eine individuelle Betrachtung, welche bei mir in differenzierten Stufen etabliert ist. Aktuell liegen sie täglich zwischen 12 und 14 Kilometern pro Lauf, d.h. ich bemühe mich nicht unter diesen Wert zu geraten. Dessenungeachtet läßt sich das nicht immer realisieren, was sich von selbst verstehen dürfte. In zweierlei Hinsicht ist dieses nicht immer einfach, aber dazu werde ich mich später äußern. Meine inoffiziellen Minimalgrenzen als Richtwerte liegen abgestuft bei zehn, fünf und zwei Kilometern. Die zwei Kilometer stellen jedoch eine absolute und sehr seltene Notfallmaßnahme dar, welche beispielsweise in einem Krankheitsfall greift. Ich las schon oft, daß die meisten Täglichläufer nur 1,6 Kilometer laufen würden. Hiermit betone ich nochmals, daß dies Unsinn ist. Die USA-Mindestdistanz wird nur in Ausnahmefällen gelaufen – das ist explizit nicht die Regel.
Als sinnvoll erachte ich eine Dokumentation der Läufe. Aus meiner Sicht nicht unbedingt nur eine Regelfrage, sondern zu Beginn auch eher eine Frage der Motivation. Schließlich ist es für mich eine wahre Freude meine Läufe mit besonderen Erlebnissen nachzulesen, die ich vor fünf oder zehn Jahren absolvierte – das bereit nur Spaß. Und jedes Mal frage ich mich, wo ist die Zeit nur geblieben? Als Element der Motivation ist am Anfang eine derartige Dokumentation nicht zu unterschätzen, auch im Kontext einer Konfrontation der eigenen Leistungsfähigkeit. Für mich existieren keine weiteren Regeln; in den USA wurden zwar noch Zusätze eingefügt, die ich persönlich unsinnig finde und auf deren Erwähnung ich getrost verzichten werde. Mit Verbissenheit auf Biegen und Brechen kann man nicht Täglichlaufen. Und permanente Ausreden generieren, um die Serie zu halten, ist obsolet. Irgendwann wird jede Serie einmal zu Ende gehen; sie mit fragwürdigen Regelzusätzen und Auslegungen künstlich zu verlängern, wirkt dann suspekt. Irgendwann ist Schluß – das sollte jeder Täglichläufer akzeptieren und für sich eingestehen.
Kontrolle? Wer kontrolliert nun die Täglichläufer? Niemand. Man vertraut auf ihre Ehrlichkeit und Ehre. Zugegeben, Ehre ist in der heutigen Welt aus der Mode. Wer ist noch ehrlich? In Politik, Wirtschaft und Sport sind das mit Füßen getretene, vergessene Wertvorstellungen aus einer vergangenen Welt – sofern sie je existiert haben. Also könnte jeder sagen, daß er seit 5000 Tagen täglich läuft. Natürlich. Rein hypothetisch. Doch welch erbärmliches Gebaren! Sich selbst etwas vormachen, ist vielleicht nur temporär möglich. Wie könnte man auf sich selbst stolz sein und sich an seinem Tun erfreuen und an seiner Erfahrung wachsen, wenn man innerlich weiß, daß es nicht korrekt ist? Seine eigene Leistung adäquat betrachten und würdigen? Nein, Unehrlichkeit und Täglichlaufen passen nicht zusammen, eine Synthese ist inadäquat. Täglichlaufen basiert auf Ehrlichkeit, da sich die Bedeutung der Konzeption aus selbiger speist.
Denn nicht nur die Höhen definieren das Täglichlaufen, sondern gerade auch die Tiefen. Sich aufraffen und kämpfen, den Widrigkeiten trotzen, die sich im Alltag manifestieren, sich bei einer Erkältung in die Kälte wagen, gegen die eigene Lustlosigkeit vorgehen; wenn beim Laufen die Augen schon vor Erschöpfung fast zufallen, sich müde gegen den Sturm werfen, der einem die Tränen in die Augen treibt – all das gehört – neben den schönen Momenten – auch dazu und definiert die persönliche Bedeutung. Die Tage selbst sind irrelevant, aber unter welchen Bedingungen und Herauforderungen sie erreicht wurden, das ist es, was wirklich zählt, die Serie ausmacht und worauf man stolz sein darf. Das sind Erinnerungen, die sich tief im Geist verwurzeln und die Grundlage für die mentale wie körperliche Selbstdisziplin, Stärke und Härte bilden. Die kleinste Unehrlichkeit würde alles wie ein Kartenhaus in das tiefe Nichts hinwegfegen.
In der Anfangszeit meiner aktuellen Serie beliefen sich die Distanzen in einem Rahmen von fünf bis acht, manchmal zehn Kilometern, partiell schwankend. Nach und nach gewöhnt sich der Körper daran und verträgt problemlos mehr Kilometer am Tag. Im Laufe der Zeit verschieben sich die Grenzen und man definiert für sich Regeln, die die Zukunft dominieren. Läuft man über Jahre täglich eine bestimmte Kilometerdistanz fällt es einem nicht sehr leicht, sie „grundlos“ zu reduzieren. Ebenso das Gegenteil. Manchmal werden selbst nur acht Kilometer zu einer Herausforderung; von unzähligen Aspekten abgesehen, die ich anderweitig thematisiert habe. Die Gewöhnung des Körpers stellt somit auch ein Nachteil dar, da sich die mentale und später auch körperliche Belastung gravierend auswirken kann. Es gehört Erfahrung dazu, diese Klippen gesund zu umschiffen. Aber auch dies ist – wie mein kompletter Artikel – eine Frage der persönlichen Natur. Letztlich verfolgt jeder Mensch in seinem Handeln verschiedene Zielsetzungen. Zu erkennen, was man eigentlich mit seinem Täglichlaufen erreichen will, ist der Anfang einer gesunden und langfristig praktikablen Intensität.
Bei allem Ernst und Zielen oder Nichtzielen, die man mit dem Täglichlaufen verfolgt, darf eines nicht vergessen werden. Die Freude sollte letztendlich immer die Oberhand gewinnen, wenngleich das harmonische Gleichgewicht auch mal aus dem Takt geraten darf – ja muß! Mein Denken bezüglich Täglichlaufen nähert sich einer Lebenseinstellung durchaus an, welches auch mein Titel impliziert – „Gelebtes Täglichlaufen“ – dennoch, es gibt weitaus Wichtigeres im Leben als Laufen. Gesund bleiben und die schönen Momente des Lebens festhalten und genießen. Mit Täglichlaufen in der unendlich schönen Natur gelingt mir das überwiegend. Sonst hätte ich auch kein Jahrzehnt die Täglichläuferkonzeption praktizieren können. Die Liebe zum Täglichlaufen. Meine essentiellste Regel überhaupt. Doch nichts geht über das Leben selbst.