Im Mikrokosmos des Sports, insbesondere in der Läuferwelt existiert ein vermeintliches Phantom. Ein berüchtigtes Gespenst mit einer unheimlichen Aura. Es trägt viele Bezeichnungen, der bekannteste Deckname lautet „Innerer Schweinehund“. Doch was soll das sein? Ein Gefühl der Unlust? Eine Ausrede? Eine Einstellung? Schwäche? Fehlender Willen? Legitimierte Faulheit? Mangelnder Antrieb? Exakt. All dies zusammen. Wie verträgt sich nun Täglichlaufen mit der sogenannten Motivation, die meinen Beispielen konträr positiv gegenüber steht? Die Antwort ist an Evidenz nicht zu übertreffen, da all die erwähnten Punkte der Schwäche sich selbst als Illusion deklassieren. Entweder tut man etwas oder eben nicht. Wozu also unsinnige Ausflüchte konstruieren, etablieren und pflegen?
Sich zum Laufen zu motivieren, ist bei erfahrenen Täglichläufern obsolet. Schließlich basiert die Konzeption an sich auf der Tatsache, daß man täglich läuft – was bereits der Name impliziert. Das eigene Selbstverständnis der Selbstdisziplin setzt keine Motivation mehr voraus. Ich laufe. Täglich. Darüber muß ich nicht nachdenken; es darf sich meiner Konzentration fundamental entziehen. Nicht denken. Laufen. Täglich. Natürlich existieren Tage, an denen es schwerer fällt oder ich keine Lust habe. Manchmal wird es zu einer Herausforderung, weil diverse Umgebungsvariablen nicht optimal zum Stil harmonieren. Auch das kann – nein! – muß vorkommen. Doch diese Situationen und Befindlichkeiten tangieren das nachfolgende Tun nicht. Und spätestens beim Laufen selber – sind die belastenden Gedanken wieder verschwunden. Im Bruchteil einer Sekunde mental in das Nichts verbannt.
Zugegeben, was würde für mich mein Täglichlaufen auch bedeuten, wenn es immer leicht und ohne Anstrengung wäre? Rein hypothetisch nur aus Freude bestehen würde? Nicht jeder Tag wird von Freude dominiert, schon gar nicht vom Spaß; dies wäre auch absurd – und genau das macht Täglichlaufen aus. Getragen von Herausforderungen, die es zu meistern gilt – den differenziertesten Gründen geschuldet. Durch jene Reibung erlangt der gelebte Stil seinen Wert. Man muß sich seine individuelle Bedeutung erarbeiten. Erst dann lernt man zu schätzen, welch Geschenk jahrelanges Täglichlaufen de facto ist. Von den gesundheitlichen Aspekten gar nicht zu reden.
Wer als Anfänger die Vollendung des ersten Täglichlaufjahres anvisiert, nur die schnöden Tage zählt und sich damit noch grandios fühlt – weil es augenscheinlich nahezu perfekt läuft – kann und wird meine Worte nicht verstehen. Bis man zu der Erkenntnis gelangt und ein wahres Gefühl für die subjektive Idee des Täglichlaufens gemächlich entwickelt, müssen Jahre in das Land ziehen; partiell durchaus von Härte geprägt. Rücksichtslosigkeit zu sich selbst. Jenes Wissen, Denken und Fühlen auf gelebten Erfahrungen kann man sich nicht anlesen – dies ergibt sich aus der Natur der Sache. Partizipation und Adaption sind impraktikabel. Freilich ersetzen in dieser Phase andere Beweggründe die später auftretende Verinnerlichung. Danach muß es über den Status eines Rituals hinausgehen. Weiterhin ist zu diesem frühen Zeitpunkt noch unklar, ob die Konzeption des Täglichlaufens wirklich zum eigenen Leben paßt, mit dem Alltag bejahend korreliert; ob es eine gewisse Priorität der Kontinuität erhält – eine nicht zu unterschätzende Grundlage der ernsthaften Langfristigkeit. Unter erschwerten Bedingungen wird sich offenbaren, wie man wirklich dazu steht. Wer dann nur für unbedeutende Tage läuft oder weil es eben mal Spaß macht – ohne tiefer gehende Intention, wird zum logischen Schlußpunkt gelangen.
Die Zeit verändert die Persönlichkeit, das Denken – in zahllosen Facetten. Ich hätte nie gedacht, daß sich eines Tages die Motivation als Märchen herausstellen wird. Gleichwohl ist es ein schönes Gefühl, diese Ebene hinter sich gelassen zu haben. Was man liebt, kann letztlich nicht wirklich belastend sein, ergo bedarf es keiner Motivation. Mit dem erforderlichen Ernst Täglichlaufen, jedoch lächelnd – wenn es adäquat ist – sich den Widrigkeiten ohne Jammern entgegenstellen und sie überwinden. Das ist es, was uns ausmacht und woran wir gemessen werden.