Vor 13 Jahren begann eine gleichsam körperlich wie geistig schwächere Version meiner selbst mit den ersten Laufeinheiten. Im Jahre 1997 vollzog ich den Eintritt in die Läuferwelt, wenngleich ich das heute nicht unbedingt als Laufen definieren würde. Aber irgendwann war jeder einmal ein Anfänger; eine Zeit, die ich nicht vergessen habe, im Gegenteil – nach wie vor betrachte ich meine einstige Unzulänglichkeit als bedeutenden Teil von mir, den ich nicht missen möchte. Ungefähr zwei Jahre später wandelte sich meine Laufliebe in eine Form der täglichen Wertschätzung, freilich noch unbewußt. Konzentriertes Täglichlaufen wäre mir zu absurd erschienen. Abermals zwei Jahre später initiierte meine trotzige Sturheit die Grundlage meiner leidenschaftlichen Konzeption, die ich bis dato immer noch pflegen darf, kann und werde. In diesem Jahr werde ich – sei mir das Glück ein wenig hold – das 11. Jahr als Täglichläufer erreichen. Und meine aktuelle „Serie“ erwirkte am 18.05.2010 den Abschnitt von neun Jahren und zwei Monaten. Das ist mein Weg in die Zufriedenheit, den ich seit Jahren mit Hingabe beschreite und hier hinlänglich en détail beschrieben habe. Wohin er mich am Ende führen wird, ist mir selbstredend unbekannt.
Der Pfad des Täglichlaufens. Ein Weg, der mich in eine Art Abenteuer gestürzt hat, welches mein Leben verändern sollte. Mit zahllosen interessanten Erlebnissen, spannenden Begegnungen, grotesken Konflikten, gefährlichen Situationen – aber auch mit heiteren, melancholischen, traurigen und angenehmen Begebenheiten – wie sie nur das Leben selbst in seiner Omnipotenz formulieren und entsprechend gestalten kann. Ein Weg, der in erster Linie ein vollkommen neues Körpergefühl generierte, eine gelassene Zufriedenheit, die ich vorher nie in der Form fühlte. Besonders im Kontext auf ein neuartiges Vertrauen in meinen Körper, zu mir selbst – als neu kreierte, verbundene Einheit im Einklang. Ein beschrittener Weg mit gesundheitlichen Warnschüssen und gelegentlichen Volltreffern; einschließlich Phasen, die mit töricht sinnvollen Kälte- und Hitzeexperimenten einhergingen – das Erkennen von schmerzhaften Grenzen, jene Mauern, die ich mit noch so viel Energie nicht durchdringen konnte, um sie anschließend mit dem hierfür nötigen Willen und der gelebten Erkenntnis doch verschieben konnte. Ein gegangener Weg mit Höhen und Tiefen, mit herausfordernder Leichtigkeit und Schwere durch die Zeit beschritten – eine Zeit, die mich zu einem anderen Menschen werden ließ. Trotz aller Selbstdisziplin, Konstanz, Härten, Widrigkeiten und freudigen Erlebnissen in der Natur hinterfrage ich meine Philosophie selbst heute noch.
Gesunde Zweifel und das beständige Reflektieren meiner selbst sind ein Garant für mich, diesen Weg auch in der Zukunft zu beschreiten, schützen sie doch vor Überheblichkeit und einer allzu gefährlich akzeptierten Routine. Denn ungeachtet aller Natürlichkeit ist Täglichlaufen in dieser Dimension mitnichten eine Selbstverständlichkeit. Und so frage ich mich seit Jahren, seit Anbeginn – wie lange werde ich diese Konzeption noch fortsetzen können? Wie viel Tage, Monate oder Jahre darf ich meine täglichen Läufe noch praktizieren? Mit über zehn Jahren gelebtes Täglichlaufen habe ich bewiesen, daß der Stil eine Körperpflege par excellence für mich darstellt. Ein Geschenk meines Körpers an mich selbst – und umgekehrt. Würdigung und adäquate Pflege meiner Existenz. Er bedingt meine Gesundheit in einem positiven Maß – sofern eine übermäßige Intensität das harmonische Gleichgewicht nicht konterkariert – was ich mir früher nicht im Traum hätte vorstellen können. Gleichwohl wird der Zeitpunkt kommen, wo meine Konzeption ihren natürlichen Schlußpunkt finden wird und ich mich mit dem Finale auseinander setzen muß. Die Zukunft des Seins ist noch nicht geboren, alles ist offen; wohin mich mein Weg also führen wird, ist noch nicht im Buch des Lebens eingetragen. Mir ist bewußt, daß diese „Leistung“ in meinem Leben nicht reproduzierbar ist, derlei wird mir nie wieder gelingen – entsprechend ausgeprägt ist mein Selbstverständnis, diese Selbstdisziplin weiterhin zu leben, entgegen aller Fragilität des Konstruktes und etwaiger Herausforderungen. Bei aller Irrelevanz von Wünschen, sei mir eine Hoffnung gestattet.
In den vergangenen Tagen traf ich vermehrt ältere Sportler, die mich nachdenklich stimmten, explizit im Fokus auf meine läuferische Zukunft. Damen wie Herren, die Laufen, Walken oder sich dem sogenannten „Nordic-Walken“ hingeben. Sie üben ihren Sport lächelnd aus, sind stets freundlich und nicht selten unterhalten wir uns. Einst thematisierte ich jene jung gebliebenen Vorbilder auf meiner Seite und das sind sie auch weiterhin für mich. Es ist zwar pure Natürlichkeit sich zu bewegen – auch im Alter – und doch ist dies in unserer Gesellschaft nicht mehr die Regel. Aus diesem Kontext heraus ringt mir die gezeigte Agilität großen Respekt ab. Wer weiß schon, wie ich selbst in späteren Jahren in sportlicher Hinsicht noch agieren kann und darf? An dieser Stelle wünsche ich mir, daß im Alter nur ein wenig von dem Elan und dieser Energie mir zueigen sein wird, um in einem ähnlichen Rahmen, den tief in mir konsolidierten sehnsuchtsvollen Bewegungsdrang ausleben zu dürfen – wenn meine Jahre als Täglichläufer längst im Reich der Erinnerungen verflüchtigt sind. So wie die von mir beschriebenen Vorbilder möchte ich dereinst ebenfalls sportlich die Wälder erkunden, mit einem Lächeln. Mein Jahrzehnt als Täglichläufer manifestierte ein Fundament von Zufriedenheit, Gesundheit und Glück – vielleicht habe ich insgeheim eine Basis etabliert, die bis in das hohe Alter nachwirken wird, was ich mir wünschen würde. Vorausgesetzt, meine unbedeutende Existenz – äquivalent Staub im Wind – wird jene Regionen des Lebens erreichen und am selbigen aktiv partizipieren.