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Zehn Jahre Täglichlaufen. Der Widerstand der Erkenntnis.

Posted in Täglichlaufen. Erkenntnis. on 11. August 2011 by Täglichläufer

Die Welt hat sich nicht verändert. Anhaltende Finsternis im einsamen Hain des elementaren Daseins. Scheue Regentropfen weisen mir den Pfad; der Tagesbeginn debütiert verhalten kühl. Durchnäßt stehe ich an meinem Lieblingsufer, welches nur noch ein Schatten seiner selbst ist – die wellenartige Wassermacht des zornigen Sees hat sich ihren nicht gebührenden Anteil gesichert und gibt ihn nun nicht mehr preis. Das Hochwasser expandiert allenthalben. Gefangen in den unsichtbaren Fesseln der maritimen Elemente. So sei es. Mein nasses T-Shirt fühlt sich wie ein schweres an mir haftendes Kettenhemd an, ich schließe meine Augen und gebe mich den intensiven Sturmböen hin, die mich ungestüm streicheln. Ein innerer Schauer entwickelt sich, auf meinen Armen entsteht eine sogenannte Gänsehaut, doch ja, es fühlt sich angenehm an. Die heutigen 16 Kilometer werden zum 18. Regenlauf in diesem Jahr. Wieder einmal die 18 – meine Zahl. Ist in ihr eine exponierte Symbolik für mich verborgen? Fast bin ich geneigt, dies anzunehmen. Indessen offeriert der kühle Schauer eine lang ersehnte Erkenntnis für mich.

Der 18.03.2011 war D E R Tag in meinem Leben als Täglichläufer. Ich habe einen detaillierten Artikel verfaßt, der sich mit diesem meinem Jubiläum beschäftigte. Gleichwohl habe ich diese Leistung bis heute nicht endgültig verarbeitet. Freilich, ich habe mich gefreut und ich war und bin unsagbar stolz. Aber entsprechend „angenommen“ habe ich dieses hart „erarbeitete“ Geschenk nicht. Die Routine obsiegte, alles ging weiter wie zuvor. Und jenes Photo, welches ich unmittelbar im Anschluß der Realisierung der gelebten Dekade habe aufnehmen lassen, strahlt auch nicht wirklich Freude aus, im Gegenteil – es ist mehr von einem melancholischen Ernst gezeichnet. Doch warum? Dieser Tag, das Ereignis, diese Leistung ist zu bedeutend, als daß ich sie einfach so akzeptieren konnte; es bedurfte einer gewissen Zeit, sie geistig nach und nach zu erfassen und sie anzunehmen, sie zu verstehen.

Mit den absolvierten zehn Jahren Täglichlaufen in Serie habe ich eine Art ungewollten Höhepunkt für mich etabliert, der in seiner Einzigartigkeit surreal schimmert. Und, bot sich jener Tag nicht par excellence für einen würdigen Schlußpunkt an? Das Ungewollte, das Nichtwollen bewußt erheben, um es der Endgültigkeit anheim fallen zu lassen? Allein, dafür fehlte mir die Kraft. Zugegeben, selbst wenn sie mir zueigen gewesen wäre, hätte ich nicht aufgehört. Warum auch!? Nicht zuletzt hat der greifbare Grund gefehlt, denn nach wie vor vertrete ich die Auffassung, daß der Endpunkt meines Täglichlaufens nur gesundheitlicher Natur sein kann, sein darf. Ich lasse nichts anderes gelten. Punkt. In meinem Jubiläumsartikel schrieb ich: „Mein Körper ist nicht mehr der, der er einmal war, doch wird auch der „Antisportler“ weiterhin seinen festen Platz in meinem Gehirn einnehmen.“ Während ich heute früh am Strand die Abgeschiedenheit des Lebens genoß, erkannte ich, daß der „Antisportler“ in mir dafür verantwortlich ist, daß ich meine zehn Serienjahre bisher nicht wirklich akzeptieren konnte. Meine einstmals schwache Zeit im Schulsport und im besonderen Rahmen, die daraus resultierenden Gefühle haben selbst heute noch einen festen Platz in meinem Denken. Die Empfindungen der eigenen, damaligen Unzulänglichkeit habe ich geistig konserviert und pflege sie bis dato, wenngleich mehr latenter Art und doch, sie sind vorhanden!

Ich möchte das jedoch nicht missen. Das Wissen um der eigenen Unvollkommenheit schützt mich heute vor der Arroganz oder falschem Stolz; oder gar davor, daß ich mir auf mein Täglichlaufen etwas einbilde. Absurd. Wie töricht ist es, sich auf derart banale Dinge wie „Laufen“ etwas einzubilden? Wer ist stolz darauf, daß er atmet? Ich habe solche Menschen beobachtet, die überheblich sind, weil sie schnell oder weit laufen können, dabei gleichzeitig Walker und andere verhöhnen, die mit einem gänzlich konträren Hintergrund etwas für ihre Gesundheit tun. Wenn ich diesen Überheblichen meine Dekade oder die Jahreskilometer vorwerfe, dann könnte ich es sein, der lacht – was ich wiederum nicht tue. Erbärmliche Geister, die es nicht wert sind.

Wie dem auch sei, genau dieses Denken sorgte für den Widerstand der Erkenntnis. Ausgerechnet ich – der einstige Antisportler – hat es realisiert, zehn Jahre jeden Tag zu laufen. Ausnahmslos, irrelevant unter welchen Bedingungen. Ja, diese absolut einzigartige Leistung und das ist sie für mich, derlei wird mir in meinem Leben, in meiner flüchtigen Existenz nie wieder gelingen – stand im Widerspruch zu meinem ureigenen Empfinden. Einst ausgelacht von den oben beschriebenen Wesen ohne Charakter, die sich auf ihre – aus heutiger Sicht schwächlichen – Körper etwas einbildeten. Nun, schlußendlich mag dies nichts Besonderes sein und doch, bei aller Natürlichkeit ist es das für mich. Erst heute, nicht mehr weit entfernt von meinem Halbjahresjubiläum habe ich den denkwürdigen Tag mit seinem ungewöhnlichen Hintergrund wahrhaftig in allen Einzelheiten realisiert. Die gelebte Leistung, nein, mich selbst – verstanden. Heute sähe das Photo, ich selbst wahrscheinlich anders aus. Nicht mehr ernst, sondern lächelnd. Zufrieden lächelnd. Zufriedenheit, ja, aber eine ganz eigene Zufriedenheit, geboren in den vergangenen Jahren des gelebten Täglichlaufens im Wandel der Zeit. Oder anders formuliert, i n n e r e Zufriedenheit. Ich habe unbewußt (m)einen erfüllenden Weg entdeckt, ohne ihn je zu suchen und hätte ich früher geahnt, daß es ihn gibt, so hätte ich ihn wohl törichterweise gesucht – ohne ihn je zu erspähen. Oder wie ich vor kurzem formulierte: „Die Quelle meiner Selbst im temporären Dasein meiner kümmerlichen Existenz – ich habe sie gefunden. Nun, ich hatte sie schon immer respektive seit vielen Jahren – freilich ohne mir dessen in dem Maße bewußt zu sein; in dieser Simplizität in meiner Intention ist dies ein Novum. Das generiert tiefen Frieden und eine belebende Stille der Ruhe.“ Die Welt hat sich nicht verändert. Aber ich mich. Und ich verändere mich weiter. Mit jedem Tag, mit jedem Lauf. Gelebtes Täglichlaufen – was habe ich dir alles zu verdanken!?

Warum habe ich die Kommentarfunktion deaktiviert? Aus zweierlei Beweggründen. Zum einen sind diese – partiell recht persönlichen Gedanken, wie das so meinem Stil entspricht – primär an mich adressiert, was eine Debatte obsolet macht. Zum anderen kann und wird mich niemand, ich betone niemand verstehen, was wiederum etwaige Antworten überflüssig macht. Nicht einmal ich verstehe an manchen Tagen mein Täglichlaufen, aber das, das ist das Leben. Und das Leben hat Recht.