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Täglichlaufen. Neun Jahre & Sechs Monate. Das Lied vom Täglichlaufen.

Posted in Täglichlaufen im Fokus, Täglichlaufen. 9,5 Jahre. on 18. September 2010 by Täglichläufer

Der Wochenbeginn hüllte sich in finstere, schwarz gewobene Gewänder. Eine zutiefst dunkle Welt, die nicht enttäuscht, sondern Sehnsüchte erfüllt; dominiert von einem säuselnden Sturm und unaufhörlich peitschenden Regenfronten mit einem lieblichen Charme, der seinesgleichen sucht und nur von wahrhaften Genußmenschen adäquat gewürdigt werden kann. Oder anders gesagt – es war ein Gefühl, als ob sich diverse Energieteilchen des Lebens, unbedeutende Partikel nur – in mir sammelten und eine Art Strom bildeten, ihre Kraft jählings an mich transmittierten, die sich mit meinem Geist, meinem Inneren verbanden und Verborgenes mobilisierten, elektrisierten. Scheinbar an der elementaren Substanz des Lebens selbst partizipieren. Ein Gefühl, was sich nicht beschreiben läßt.

Sinnlicher konnten die letzten Meter respektive Tage zu meinem Halbjahresjubiläum nicht beginnen. Dankbar und zufrieden goutierte ich den Reigen der allumfassenden elementar triefenden Teilchen des Lebens, welcher mich mit gefühlvoller Macht entführte – wie die leisen Wellen, die behutsam das Seeufer streicheln. Das im letzten Beitrag angesprochene Tief wurde auf Grund der nassen Einladungen lückenlos neutralisiert. Geliebte Natur! Es ist ein aufrichtiges Geschenk in der wunderbaren Natur jeden Tag laufen zu dürfen. Jeder Lauf ist neu, anders und verschieden – die empfindliche Wahrnehmung obsiegt indes nur für den sensiblen Beobachter. Und heute ist es nun soweit, erneut ist ein halbes Jahr vergangen – aufgesogen von der nicht minder berauschenden Kraft des flüchtigen Nichts, absorbiert für alle Zeiten – umso bedeutender der vorhin absolvierte Lauf von 14 Kilometern mit Reh- und Fuchskontakt im Sonnenschein, bei insgesamt 3540 Jahreskilometern, der mit seinem grandiosen Finale einen stolzen Höhepunkt für mich bildet: Neun Jahre und Sechs Monate Täglichlaufen. In Serie. Ohne Ruhetage. Ausnahmslos. Über alle Widerstände hinweg. Wohlan, heute wird gefeiert!

In diversen Berichten und im besonderen Maße zu meinen Jubiläen formulierte ich wiederholt zahlreiche Worte, die doch absolut entbehrlich waren und sind. Auch jetzt sollte ich es dabei bewenden lassen und ruhig schweigen, allein, wer versteht mich nur im Ansatz? Wahres Nachvollziehen setzt die gleichen Erfahrungen, Erlebnisse und ähnliches Empfinden voraus. Aus diesem Kontext heraus ist mein Jubiläumsartikel in erster Linie für mich bestimmt, an meine Person adressiert; so wie diese Seite des „Gelebten Täglichlaufens“ an sich. Hier sei angemerkt, daß ich meine Gedanken aus der täglich laufenden Anfangszeit leider nicht in dem Rahmen für mich festhielt, wie es hätte sein können. Ungenutzte Chancen, die ich beklage. Meinen Kritikern und Neidern – die soll es auch geben – sei gesagt, daß mich ihre törichten Stimmen nicht interessieren. Wahre Kritik kann nur von den Personen erfolgen, die ebenfalls über neun Jahre Täglichlaufen in einer vergleichbaren Intensität absolvierten und somit auf einer parallelen Ebene stehen. Vorurteile und Vermutungen von Unwissenden negiere ich.

Mit jedem weiteren Tag, der vergeht und somit das hintergründig glimmende Licht der Zehn am weiten Horizont gemächlich heller leuchtet, so erscheint mir mein Täglichlaufen surrealer. Freilich, meine Leistung läßt mich stolz lächeln, zeigt sie mir doch, was ein Antisportler leisten kann, wenn er nur will – aus welchen ursprünglichen Gründen auch immer. Ja, geboren aus Trotz und Sturheit als Revanche an meinen unzulänglichen Körper, aber in Wahrheit habe ich wahrscheinlich schon damals – 2001 und weit vorher – die Erkenntnis gewonnen, was es bedeutet täglich zu laufen. Was es für ein Genuß ist, Täglichlaufen praktizieren zu dürfen. Als eine Quelle der Glückseligkeit für Körper und Geist; als Quelle meiner selbst. Unbewußt habe ich die Erkenntnis gewonnen, daß mein schwacher Körper der täglichen Bewegung bedarf, um stärker zu werden und in der Majorität Gesundheit, Zufriedenheit, Kraft und Wohlbefinden zu generieren und entsprechend wertzuschätzen. Täglichlaufen ist wie Atmen, pure Natürlichkeit. Doch setzt dieses Wissen eine langjährige Entwicklung als Selbstverständlichkeit voraus.

Die von mir empfundene Surrealität liegt kausal in meiner Zeit als unfähiger Sportler begründet. Der einstige Sportversager aus der Schulzeit läuft „mal eben“ – die Herausforderungen übergehe ich an dieser Stelle – „Neun Jahre und Sechs Monate“ täglich; einfach so und ohne ein Ziel vor Augen. Ohne ein Ziel. Für Nichts. Ohne jedwedes Streben. Welch ein Wandel! Hätte ich doch damals nur ein Quentchen dieser Energie und Kraft gehabt, so hätte mir der Sportunterricht vielleicht einmal Freude bereitet. Und ich wäre einmal weniger von den gewaltigen sportlichen Helden aus meiner Schulklasse ausgelacht worden. Wer würde heute lachen? Sie? Oder ich? Ja, die Helden von früher. Heute sind viele von ihnen dick, labil und untrainiert; bar jeder Disziplin wie Selbstdisziplin. Eine Sportstunde mit jenen, die sich damals amüsierten – wäre aus meinem heutigen Betrachtungswinkel sehr, sehr reizvoll. Mich deucht, das Amüsement wäre auf meiner Seite. Zeiten ändern sich, Menschen auch. Manchmal.

Neuneinhalb Jahre Täglichlaufen in Serie. Bei Hitze und bei Kälte, bei Wind und im Schneesturm, bei Sonne und Regen, bei Glatteis und Gewitter. Überwundene Zusammenbrüche, Angriffe, Läufe mit vor Müdigkeit geschlossenen Augen, Hundekonflikte- und Angriffe, Kälteexperimente im Verhältnis der Abhärtung mit einhergehenden Lektionen, Läufe zu allen erdenklichen Tages- und Nachtzeiten, Bedrohungen, Provokationen, Stürze, Wildschweinkontakte, gesundheitliche Probleme und Beschwerden, aber auch lustige Erlebnisse, witzige Kommentare und Ansichten, pure Freude, Heiterkeit, kuriose Begebenheiten – beispielsweise mein Salamilauf – ja, das Leben bot mir in den Jahren ein wechselhaftes Potpourri feil – von Höhen und Tiefen getragen, wie es nur das Dasein höchstselbst in seiner ernsten und doch unvergleichlich heiteren Art in meinen täglichen Lebenslauf schreiben konnte. Und blicke ich zurück in den Aufzeichnungen meiner „Fitneßdatei“, Jahr um Jahr, so offenbart sich der nächste unwirkliche Punkt in meiner Konzeption, die sie mir latent wie im Traum erscheinen läßt. Die Zeit. Immer wieder die Zeit.

In unserer Gesellschaft rast selbige von der Zukunft, die nicht existiert in eine Vergangenheit, die nicht mehr lebt und reißt uns alle mit einer Geschwindigkeit mit, die erschreckend ist. Zusätzlich dokumentiere ich dies noch täglich; weiterhin fatal die Tatsache, daß meine Wahrnehmung sich diesbezüglich eklatant sensibilisiert hat – durch das Täglichlaufen fühle ich die Zerbrechlichkeit des Lebens viel intensiver, was mir nicht zuletzt an meiner eigenen Person wiederholt rigoros demonstriert wurde. Liebgewonnene Menschen, die mich anfangs täglich als Beobachter begleiteten – über Jahre hinweg – sind nicht mehr existent – sie sind zu blassen Erinnerungen geworden, leben nicht mehr. Sie haben ihren Odem der Einzigartigkeit ausgehaucht. Sie verschwanden auf ewig, neue Begleiter erschienen aus dem Dunkel und nahmen ihre Stelle ein. Doch was hilft das überflüssige Sinnieren über diese unabänderliche Thematik, sie IST und das Leben hat Recht. Dereinst werden wir selbst ausgetauscht von dieser unerhörten Theaterbühne des Daseins. Früher oder später. Viele meiner Läufe sind diesen melancholischen Gedanken geschuldet. Wir sollten überlegen, was wirklich wichtig ist und uns auf den Moment konzentrieren.

Ohne meine Aufzeichnungen kämen mir die vergangenen Jahre Täglichlaufen wohl noch irrealer vor. Erlebnisse, so frisch im Gedächtnis verankert als ob ich sie eben erst erlebt hätte, ja, dieser und jener Lauf war doch erst vor kurzem? – und dennoch ist er viele Monate her oder es sind gar Jahre vergangen. Vor ein paar Tagen führte ich ein Gespräch im Hinblick auf das fragile Konstrukt der Gesundheit, natürlich primär im Rahmen des Täglichlaufens. Mein Fazit diesbezüglich ist einleuchtend. Wenn ich die temporäre Phase als unregelmäßiger Läufer – ich wußte es damals nicht besser – mit der baldigen Dekade als Täglichläufer in Serie vergleiche, so erstaunt mich nach wie vor die Reduktion der Verletzungen oder sonstigen gesundheitlichen Widrigkeiten, was mich nur in meinem Denken bestätigt, explizit im Zusammenhang der gelebten Ausgewogenheit als essentielles Fundament der Permanenz. Gleichwohl ist mir bewußt, daß der menschliche Organismus nun einmal für die Bewegung konstruiert ist; wenn er nicht gefordert wird und ungesunde Lebensmittel en masse konsumiert werden, so darf sich niemand ernstlich wundern, wenn er krank wird oder sich der Körper mit unangenehmen Ausmaßen wehrt. Wobei ich Täglichlaufen nie empfehlen würde, denn das ist nur mein unbedeutender Weg. Allgemeingültig rate ich nur zu Bewegung, welcher Art auch immer.

Ja, Täglichlaufen ist mein Weg. Er ist zu meinem Pfad geworden. Diesen Weg habe ich nie gesucht und doch gefunden. Im Nichtwollen liegt auch meine Konsequenz verborgen. Nachahmen ist irrelevant und bildet keine Option. Es ist auch absurd wie töricht, sich vorzunehmen jeden Tag zu laufen. Ein Täglichläufer zu werden. Lächerlich. Nun, gewisse Komponenten meiner Existenz, Ereignisse, Erfahrungen, Bedingungen oder aber auch nur der Zufall des grotesken Lebens hat mich dazu verführt, diesen herausfordernden Weg zu beschreiten – und es hat mich mit dem hierfür angemessenen Willen ausgestattet, um selbigen relativ entspannt zu absolvieren – mit aller Beharrlichkeit – wenngleich das eine Frage der subjektiven Betrachtung ist. Und was mir hierfür fehlte, dies habe ich anhand zahlloser Lektionen lernen dürfen. Für mich selbst ist meine Philosophie des Täglichlaufens an manchen Tagen unglaublich wie gleichsam absolut natürlich und zu anderen Zeiten frage ich mich, wieso ich das eigentlich praktiziere. Zweifel sind für den Fortbestand essentiell. Doch mehrheitlich genieße ich es lächelnd, denn es ist zu einer Art Lebenseinstellung geworden. Zu einer Art wohlgemerkt. Ich hoffe inständig, daß es nie zu einer wirklichen Lebenseinstellung werden wird; und wenn doch, daß mir dann die Kraft innewohnt mein Täglichlaufen zu beenden. Es ist für mich bedeutend, ich liebe es von Herzen und bin eminent stolz auf mich, diese natürliche Ebene erreicht zu haben, aber ich kann und will mich nicht darin verlieren. Zwang und Unzufriedenheit wären die Folge, die es später per se konterkarieren würde.

Ich bin geneigt anzunehmen, daß ich das nächste halbe Jahr ähnlich entspannt absolvieren werde, im ruhigen Einklang mit mir selbst – meiner Art entsprechend – nur von der Einsamkeit mit Hingabe und Liebe beherrscht, gleichwohl mit Entschlossenheit, wie es für mich den vollkommenen Sinn ergibt. Freilich, die Zukunft ist noch nicht geboren und nichts ist jemals einfach – morgen oder in der nächsten Sekunde kann alles vorbei sein – demungeachtet vertraue ich auf mein Glück und hoffe, auch Zehn Jahre Täglichlaufen vollenden zu dürfen. Glück und Harmonie, Zufriedenheit und Frieden, mentale wie körperliche Herausforderungen und Widrigkeiten – all das macht mein Täglichlaufen aus und am Ende kommt es nur auf einen kleinen Sieg an, der Sieg über mich selbst. Nur das Meistern all der gebotenen Schwierigkeiten definiert für mich den besonderen Wert meines Agierens. Und bei all den erlittenen Tiefschlägen, die partiell sehr schmerzhaft waren, würde ich nicht anders handeln wollen. Ich würde es exakt wieder so machen; denn dadurch wurde ich das, was ich heute bin.

Die Ausübung meines Stils ist äquivalent der bunt schillernden Libellen, wie auf dem nachfolgenden Photo. Eine temporäre Verbindung oder Vereinigung, die dereinst gelöst werden wird – aber bis zu jenem Zeitpunkt für Liebe und Genuß steht. Mehrfach sprach ich davon, daß ich die aktuell erreichte Stufe im Täglichlaufen nie wieder in meinem Leben erreichen werde und entsprechend meine Philosophie fortsetzen werde, soll heißen, ich bemühe mich zutiefst. Diese nicht unerhebliche Facette in meiner Konzeption hat durchaus an Nachdrücklichkeit gewonnen. Ich wäre ein Tor anzunehmen, das mir dies noch einmal gelingen würde. Es wäre illusorisch zu denken, daß ich nach einer etwaigen Unterbrechung erneut mehrere Jahre Täglichlaufen absolvieren könnte, was ich vermutlich auch gar nicht wollen würde. Nein, diese Leistung ist für mich einzigartig und wird mir nur einmal gelingen. Diese Einsicht suggeriert meinem Willen eine gewisse Priorität, die in besonderen Situationen zum Tragen kommt und kommen wird. Allerdings sind mir derlei Gedanken an den zukünftigen Abschluß meines Stils heute fern, ich weise sie von mir.

– Am 29.08. bot mir die nasse Witterungsbühne der zauberhaften Omnipotenz einen Regenlauf par excellence an; ich nahm die Einladung mit Vehemenz an und als ich die Straße betrat, beobachtete mich eine Nachbarin und sagte zu mir: „Bleibe lieber zu Hause, Marcus, bei DEM Regen!“ – meine lächelnde Erwiderung kann ich hier getrost außer Acht lassen. Die dahinter stehende Symbolik meiner Intention läßt sich nicht verheimlichen; dort das erstaunende Unverständnis, hier der pure Genuß des gehaltvollen Momentes, der sich nur den Wissenden offenbart. Man kann es nicht verstehen, nur leben. Darüber zu dozieren, ist gleichsam müßig wie sinnlos. So singe ich das Lied vom Täglichlaufen weiter. Tag für Tag. Solange ich darf. Und schließe explizit mit den gleichen Worten wie vor zwei Jahren: Früher oder später wird diese Serie, die aus dem Nichts kam, für Nichts besteht und im Nichts enden wird – einen Schlußpunkt finden. Bis dieser Zeitpunkt erreicht ist, genieße ich es. Ich bin ein Täglichläufer. Das macht mich zu einem zufriedenen Menschen. Ich empfehle jedem Menschen, sich täglich zu bewegen, egal wie. Ich empfehle niemanden täglich zu laufen. Doch ICH LEBE es. – – – Cui dislet meminit.