Wohlan, ich habe es erreicht – 18.03.2001-18.03.2009. Acht Jahre Täglichlaufen. Tempus fugit. Ich werde jetzt nicht in Jubel ausbrechen oder Freudensprünge veranstalten. Der heutige Tag mit seinem exponierten Lauf, der meine aktuelle Serie auf das achte Täglichlaufjahr erhob, war nicht berauschender als die vergangenen Tage oder jene Zeiten, die noch in der Zukunft liegen. Natürlich registriere ich es mit Stolz und freue mich durchaus. Doch wahre Freude ist eine ernste Angelegenheit und als solche betrachte ich auch mein Täglichlaufen. Vielleicht symbolisiert das nachfolgende Photo einer Hippeastrumblüte meine Serie. Sie kam aus dem Nichts, besteht für Nichts und wird dereinst im Nichts verlorengehen. Aber solange sie existiert, ja, ich es lebe – wird die Freude und der Genuß mehrheitlich obsiegen. Äquivalent unser endliches Dasein. Es ist ein Geschenk, welches mir mit der Auflage eines logischen Schlußpunktes gewidmet wurde – und der wird überraschend die Realität erobern.

Selbstverständlich dominierten nicht nur Freude und Glück. Ich erlebte viele Momente der Schwäche, Augenblicke, die viel Kraft kosteten – und sehr oft fragte und frage ich mich, wozu das alles? Aber all diese Ereignisse, geprägt zwischen Mutlosigkeit und Mut, Zweifel und Hoffnung sind nötig, um meine Konzeption über Jahre zu tragen. Ich wurde zum Täglichläufer – ohne es je zu wollen; mir war zu Beginn nicht bewußt, was es einmal für mich bedeuten würde. Es hat meine Persönlichkeit grundlegend verändert. Dadurch habe ich gelernt, meinem Körper zu vertrauen. Selbstdisziplin bewerte ich seitdem komplett anders. Und manchmal tut es sogar weh, wenn man sich über seine Schmerzen erhebt und entgegen aller Vernunft laufen geht. Ein gewisses Quantum Rücksichtslosigkeit zu sich selbst gehört dazu, ja, muß dazu gehören. Doch es lohnt sich. Ich werde nicht wegen einer Erkältung pausieren oder sonstiger Nichtigkeiten meine Serie beenden. Härte ist obligat, glücklicherweise lernt man irgendwann, wie weit man wirklich gehen kann und darf, um damit nichts im Übermaß zu praktizieren, was sich letztlich kontraproduktiv auswirken würde.
Wenn ich erneut den Satz bemühe, daß acht Jahre Täglichlaufen ein Triumph bedeuten – der Sieg eines unsportlichen Menschen über sich selbst – so mag das pathetisch klingen. Doch wer meinen letzten Artikel über meine Zeit im Schulsport las, der wird mich verstehen. Als meinen größten Vorteil erachte ich den Grund, der mich zum Täglichläufer werden ließ. Da ich es nie mit einer bewußten Intention plante – welch „absurder“ Gedanke jeden Tag zu laufen – ermöglicht mir das eine entspannte Distanz in meinem Denken, um Zweifel zuzulassen. Somit kann ich mein Tun auch adäquat hinterfragen. Denn irgendwann kommt der Zeitpunkt, am dem man sich entscheiden muß; setzt man seine Serie fort, um sie auf Grund der Serie an sich zu halten oder weil man das Täglichlaufen wahrhaftig in allen Facetten liebt? Für mich ergibt nur die letztgenannte Version einen legitimierten Sinn – vor langer Zeit habe ich diesen Weg gewählt.
Es sind nicht nur die schönen Erlebnisse, die den persönlichen Wert des Täglichlaufens definieren. Sondern gerade auch die schwierigen Momente, die Herausforderungen, denn sie sind es, die darüber entscheiden, ob man die Chance verdient, diesen Stil lieben und schätzen zu lernen oder ob man nach 500 Tagen gestreßt aufhört. Schon Goethe erkannte, daß das Außerordentliche nicht auf glattem, gewöhnlichem Wege geschieht. Nichts wird einem geschenkt. Ich würde meinen Weg jederzeit wieder in der Form beschreiten, der Nutzen ist für mich allumfassend. Auch bleibe ich – ebenfalls selbstverständlich – meiner Philosophie weiterhin treu. Ich lebe das Täglichlaufen. Wie lange noch? Nur heute. Ist der neue Tag angebrochen, sage ich wiederum, nur heute. Das größte Geheimnis im langfristigen Täglichlaufen ist gleichzeitig das simpelste. Es liegt evident auf der Hand. Doch wer nur hochtrabend denkt, wird es übersehen. Wie den einzelnen Wassertropfen im endlosen Meer.
Ich heiße nun das neue Täglichlaufjahr mit einem Lächeln willkommen. Nichts ist jemals einfach – selbst nach zehn Jahren als Täglichläufer nicht. Es ist ein schönes Gefühl, ein Täglichläufer zu sein.