Ich halte Täglichlaufen für die natürlichste Bewegungsform überhaupt. Daraus folgt, daß diesbezügliche Jubiläen für mich keine große Bedeutung besitzen. Zwei einschneidende Ausnahmen existieren dennoch, erreichte Halbjahres- und Jahresabschnitte. Heute, der 18.09.2008, ist wieder so ein Tag, der mich vor allem daran erinnert, wie schnell die Zeit vergeht und wie vergänglich unser kurzes Gastspiel auf Erden wirklich ist. Mit den heutigen 16 Kilometern in völliger Einsamkeit dehnt sich meine aktuelle Serie auf sieben Jahre und sechs Monate täglichen Laufens aus. Auch wenn ich seit 2000, streng genommen bereits seit November 1999 ein Täglichläufer bin und es die normalste Sache der Welt für mich ist, nehme ich diese erreichte Etappe stolz zur Kenntnis. Grund genug, Täglichlaufen wieder einmal zu thematisieren. Im Titel steht zwar Täglichläufer, doch die wenigsten Beiträge von mir beschäftigen sich damit. Warum?
Täglichlaufen per se ist unspektakulär. Es ist zu natürlich für mich, als daß ich ständig darüber schreiben möchte. Ich tue es einfach. Täglich. Ich will mit meiner Laufkonzeption niemanden missionieren. Ich kann und will niemanden überzeugen, es mir gleichzutun. Täglichlaufen ist ein spezieller Stil mit seinen Eigenheiten, eine Konzeption mit Vor- und Nachteilen, letztendlich aber nichts Besonderes. Leider können sich heutzutage die wenigsten Menschen nicht einmal mehr das vorstellen und noch weniger werden es je praktizieren. Und diejenigen, die es versuchen, werden nach ein paar Tagen ihr Experiment abbrechen. Eine verschwindend geringe Minderheit vermag einen vollkommenen Sinn darin erkennen und kann dem Täglichlaufen eine tiefere Bedeutung verleihen. Ich hingegen habe es verinnerlicht und denke selten darüber nach. Selbstverständlich hat sich diese Erkenntnis über einen langen Zeitraum entwickelt. Das Geheimnis im langfristigen Täglichlaufen liegt in der mentalen Einstellung und weiterhin in der Einsicht, nicht Jahre erreichen zu wollen, sondern nur jeweils den aktuellen Tag. Das Morgen ist nur eine Vision – ich verweise auf die Worte am Ende dieses Beitrages.
Wer jeden Tag läuft, über Jahre ohne Ruhetage – schadet seinen Gelenken, den Knien, verwehrt seinem Körper die dringend benötigte Regeneration – so der allgemeine Tenor. Alles Märchen. Ich mag zwar Märchen, aber diesen törichten Unsinn kann ich nur ablehnen. Worte dieser Art kommen von unwissenden Menschen, die es nie versucht haben. Wer mehrere Jahre täglich läuft, kann sich über derlei Äußerungen nur wundern. Das Gegenteil ist korrekt. In den wenigen Jahren, wo ich ein „normaler“ Läufer war, hatte ich ständig Probleme und Verletzungen. Erst in der Zeit als Täglichläufer hat sich das extrem reduziert. Ich bin durch diese Form körperlich und mental stärker geworden und gleichzeitig vertrauter mit meinem Körper. Disziplin und vor allem Selbstdisziplin sind zum elementaren Bestandteil meiner selbst geworden. Der Geist offeriert Optionen, die ich früher nie für möglich gehalten hätte.
Wahrscheinlich ist das Feld derjenigen, die mich verstehen – selbst unter Läufern nur sehr minimal ausgeprägt. Zeitenjäger und die reine Marathonkonzentration als Primärziel und Laufdefinition bilden genau den Gegenpart zu meiner Intention, gerade im Kontext der Kombination Täglichlaufen und Natur, was für mich tief ineinander verwoben ist. Wer nicht ebenfalls über Jahre täglich läuft und die unterschiedlichsten Erfahrungen und die stetig wachsende Entwicklung erlebt, kann die Bedeutung für mich nicht im Ansatz ermessen. Mein Fazit: Täglichlaufen (für mich) – ich relativiere – tägliche Bewegung (für andere) ist das natürlichste der Welt. Daß tägliche Bewegung, in meinem Fall Laufen als Hauptbestandteil, essentiell und lebensnotwendig ist, bedarf keiner Langzeitstudien, die nur das beweisen, was offensichtlich ist und einem der gesunde Menschenverstand schon sagt. Sich nicht täglich zu bewegen, ist hochgradig unnatürlich. Dafür sind unsere menschlichen Körper nicht konstruiert. Natürlich suggeriert uns unsere faule und verweichlichte Gesellschaft das Gegenteil.
Vor 12 Jahren hätte ich über diesen Artikel gelacht, weil ich ihn mit meinem damaligen Horizont nicht begreifen konnte. Und heute? Mein Horizont hat sich verschoben, die Perspektive ist eine gänzlich andere geworden. Täglichlaufen ist wie Atmen, ohne dem kann ich nicht mehr existieren. Wenn es auch nicht immer reibungslos verläuft, oft schwer fällt, Krisen kommen und gehen – es gehört zu meinem Leben. Trotz mancher Widrigkeiten obsiegt die Freude. So veränderte die Zeit mit viel Geduld mein Denken, mein Handeln, meine Gedanken. Täglichlaufen beeinflußt mein Leben. Und es hält mich gesund, geistig wie körperlich. Der Weg dieser Erkenntnis bildet einen Triumph – über mich selbst.
Früher oder später wird diese Serie, die aus dem Nichts kam, für Nichts besteht und im Nichts enden wird – einen Schlußpunkt finden. Bis dieser Zeitpunkt erreicht ist, genieße ich es. Ich bin ein Täglichläufer. Das macht mich zu einem zufriedenen Menschen. Ich empfehle jedem Menschen, sich täglich zu bewegen, egal wie. Ich empfehle niemanden täglich zu laufen. Doch ich lebe es.
denn er ist das Leben –
das Leben allen Lebens.
In seinem kurzen Ablauf
liegt alle Wirklichkeit
und Wahrheit des Daseins,
die Wonne des Wachsens,
die Herrlichkeit der Kraft.
Das Gestern
ist nichts als ein Traum,
und das Morgen
nur eine Vision.
Aber das Heute
-richtig gelebt-
macht jedes Gestern
zu einem Traum
voller Glück
und das Morgen
zu einer Vision
voller Hoffnung.
Achte daher wohl
auf diesen Tag.
(aus dem Sanskrit)