Von edler Anmut getragen, schwebt der leuchtend weiße Schwan erhaben am blaugüldenen Firmament entlang; begleitet von einem sonoren Sirren und goldgelbe Strahlen von Mutter Sol weisen ihm funkelnd den Weg in die Unwägbarkeit und laden dazu ein, die unbedeutende Welt der aberwitzigen Menschen von oben durchaus latent herablassend zu betrachten. Ein Läufer, ganz in schwarz gewandet, absolviert unter ihm seine alltäglichen Runden in jenem Naturschutzgebiet, in der Heimat der grazilen Schwäne und wird von selbigen täglich beobachtet. Das gleiche alte Lied, seit nunmehr 13 Jahren und 06 Monaten erblüht die Blume des Täglichlaufens in diesem meinem Weltgesang der lieblichen Natur und gilt für den einen oder anderen partiell als dunkle Präsenz, die nicht mehr wegzudenken ist – wie unzählige Kommentare immer wieder beweisen.
Tatsächlich, jene unspektakuläre Pflanze am Rand des Weges ist wahrlich nicht mehr zu ignorieren – in meiner ureigenen Wahrnehmung. Hierbei handelt es um ein banales Gewächs, unscheinbarer Natur mit vielfältigen Blüten auf differenzierten Ebenen, die sich mehr und mehr verzweigen und höher und höher wachsen, sich empor recken. Sie symbolisieren primär Gesundheit und Zufriedenheit, dazu gesellen sich Frieden, Harmonie, Einklang mit mir selbst und der Natur, puren Genuß und schlußendlich das Leben an sich – die negativen Aspekte klammere ich an dieser Stelle aus, wohl wissend, daß sie essentiell und von gewichtiger Bedeutung sind und damit diese Blüten erst gedeihen lassen. Doch habe ich dies oft genug thematisiert, so daß ich derlei heute getrost ignorieren darf. Mit dem heutigen Tage hat sich eine weitere Knospe der für mich nicht reproduzierbaren Einzigartigkeit entfaltet, getragen von meinem Halbjahresjubiläum; frischer, belebender Tau ziert diese Blüte und glitzert wie ein wertvoller Diamant, den ich in Ehren halten werde.
Soeben vollzog ich noch mein Jahresjubiläum und scheinbar nur eine Sekunde später erscheint das nächste gravitätische Datum mit seinem charmanten Liebreiz, welches freilich nicht ganz so exponiert daher schreitet, dennoch im Kontext der Relevanz für unübertrefflich definiert werden muß und heute von mir angemessen gewürdigt wird – immerhin verkörpert es den aktuellen, meßbaren Status in meinem Täglichlaufen. Wie alle Jubiläen zuvor preist auch dies heutige Ereignis die Surrealität; es ist eine Herausforderung für mich, das zu begreifen – all die vielen Jahre, die siegesgewiß in die hehre Unendlichkeit einzogen, welche ich ausnahmslos alle mit einem täglichen Lauf gewürdigt habe und damit letztlich auch mich selbst. Parallel dazu die vollzogene Verbannung sogenannter Ruhetage, die per se unnötig sind. Ich werde nicht müde, darauf hinzuweisen, daß ich nie ein Täglichläufer werden wollte – es ist auch absurd, das zu wollen. Welchen Grund gäbe es, dies zu tun, explizit mit dieser Konsequenz? Demungeachtet ist es möglich und gerade im „Nichtwollen“ liegt meine an den Tag gelebte Permanenz im Täglichlaufen begründet.
Doch auch das führe ich nicht weiter aus, ich würde mich nur wiederholen und, habe ich nicht bereits alles gesagt, was es zu sagen gäbe? Mein Täglichlaufen schließt einen kongenialen Kreis von Laufliebe, Leben und Gesundheit in körperlicher wie mentaler Art und Weise, es harmoniert nahezu ideal miteinander und bedingt sich in seiner elementaren Natürlichkeit auch gegenseitig. Nichts ist banaler als Täglichlaufen. Vielleicht ist das die erheblichste Hürde, dies zu erkennen und zu leben. Einfach nur leben, ohne hochtrabendes Denken. Einst registrierte ich das für mich in divergierender Form und sprach von Disziplin und später von Selbstdisziplin, aber das waren nur Irrwege; doch ja, die Blume des Täglichlaufens mußte erst langsam gedeihen, reifen und nicht wenige Blüten erschienen anders als sie in Wahrheit waren; sie blendeten und der unaufmerksame Betrachter – also ich selbst – interpretierte sie vollkommen inkorrekt. Aber wahrscheinlich war und ist das der Grund, daß ihre Wurzeln tief in die Erde eindringen konnten und sie bisher durchaus starken Stürmen standgehalten haben.
Nun, das ist meine heutige Sichtweise – ich bin geneigt anzunehmen, daß ich das in zwei Monaten oder in zwei Jahren einmal mehr konträr betrachten werde; möglicherweise. Neue Gabelungen entstehen, alte und gewohnte wirken obsolet. Mein Täglichlaufen ist ein gewachsenes Konstrukt der gesundheitlichen, lebendigen Fragilität, welches täglich weiter prosperiert und gedeiht. Und bei all den überwundenen Stürmen, in der diese meine seltene Pflanze allen Fährlichkeiten beharrlich trotzte, weiß ich doch umso besser, daß in der fernen Zukunft oder aber schon morgen, dieses Gewächs dem vertrauten, geborgenen Boden der lieblichen Heimstatt erbarmungslos entrissen werden wird; unbarmherzig und mit aller Macht, denn alles wird irgendwann vergehen. Dereinst. Nichts bleibt wie es ist. Das ist der Lauf des Lebens und auch mein Lebenslauf in meinem geliebten Täglichlaufen gehört unweigerlich dazu. Nichts währt unendlich und ich gestehe es nur ungern ein, aber vor diesem Tag habe ich bereits latent Angst. Wohlwissend, daß derlei Empfindungen wie „Angst“ unnötig sind, eben weil sie auf diesem subjektiven Weg nicht nützlich sind.
Zu sehr, zu tief ist das Täglichlaufen mit meiner selbst, mit meiner Person – vor allem auch geistiger Natur verschmolzen. Hier offenbart sich der unbedingte Nachteil in dieser Philosophie. Wohlan, genug der trüben, sinnierenden Gedanken, die hoffentlich noch fern der vollzogenen Realität liegen mögen. In dieser Sekunde nehme ich das Geschenk Täglichlaufen in Demut an, ehre die neu erreichte Ebene und preise es für mich als Einzigartigkeit, die ich nicht im Ansatz missen will – die unangenehmen Momente sind hier mit eingeschlossen. Rückblickend betrachtet, bedauere ich es vielleicht ein wenig, daß ich nicht noch früher damit begonnen habe, in dieser rigorosen Konsequenz wie gelebter Permanenz, doch ja, wer weiß schon, wie sich diese meine Reise sodann entwickelt hätte. Nein, bei allen Gedankenspielen, ich bin mehr als stolz auf mich und bin froh, daß ich den Weg so gegangen bin – wie es nun einmal von mir vollzogen wurde.
Ja, ich bin extrem stolz auf mich. Wer mich verstehen will, mich also wahrhaftig nachvollziehen möchte, dem rate ich augenzwinkernd zum Selbstversuch und nach 13 Jahren tauschen wir uns aus. Freilich, der Terminus ist schon falsch gewählt von mir – Täglichlaufen kann man nicht versuchen. Man kann es nur leben. Alles andere ist eine kümmerliche Illusion, ein törichtes Märchen. Sodann ist der Pfad immer individuell. Das kanalisiert sich auch auf die noch nicht geborene Zukunft, die gleichsam eine Illusion ist, das Morgen existiert nicht – nur der Moment im Jetzt ist von zentraler Bedeutsamkeit und nur jener Augenblick wird gelebt, denn in dieser Momentaufnahme vereinigt sich das Leben in wahrer Vollkommenheit. Wie dem auch sei, mein Denken und ich selbst haben sich massiv verändert, mein Täglichlaufen hat mich zu einem anderen Menschen werden lassen, ein anderes Ich wurde dank dieses Geschenkes generiert. Doch zwei Kernpfeiler behalte ich mir bei allem Stolz bewußt bei. Zum einen definiere ich mich nach wie vor als Antisportler und zum anderen lehne ich jedwede Pläne oder Ziele wie gehabt ab. Ich will nichts weiter erreichen, als heute meinen täglichen Lauf zu realisieren und die einsame Abgeschiedenheit der Natur zu besuchen und wertzuschätzen. Sofern mir das weiter gelingt, bin ich ein zufriedener Mensch.
Das wahrnehmbare Konstrukt der „Serie“, ergo die gezählten Jahre sind nur schnödes Beiwerk und liegen kausal in der Natur der Sache begründet. Sie stehen mitnichten im Zentrum meines Täglichlaufens und geben dieser Philosophie dennoch eine Art Antlitz – mein Agieren wird dadurch erst sichtbar. Heute hat sich dieses Gesicht merklich verändert, mit Genugtuung blicke ich zurück und blättere in meinen gesammelten Aufzeichnungen, in denen ich jeden einzelnen Lauf festgehalten habe. Mannigfaltige Erinnerungen ziehen mich in das unvorstellbare Land der Reminiszenzen und manche – besondere – Läufe erlebe ich erneut. In den Datenmengen verschwimmt die Realität mit der Vergangenheit und die flüchtige Zeit mit all ihren vielfältigen Momenten segelt an der temporären Oberfläche, um dann doch für immerdar seufzend unterzugehen. Die ungestümen Wellen der Zeiten egalisieren ungerührt jene melancholischen Eindrücke und alles wird sein, wie es begann.
In diesen Aufzeichnungen bewahre ich mir mein Täglichlaufen, von dem ersten Tag an – bis heute. Und ich hoffe auf weitere Tage, in denen ich diese seltene Gnade praktizieren darf – mit Hingabe – und somit meine Chronik auch künftig ergänzen darf; mit heiteren und spannenden Momenten, mit unangenehmen Anekdoten und vielleicht auch mit gesundheitlichen Härten, wie es das Leben bisher schon wiederholt in seiner unwägbaren Art schrieb, der ich nicht entkommen kann. Täglichlaufen. 13 Jahre. 06 Monate. Was für ein Tag! Doch er wird vergehen, sehr bald. Sodann folgt der nächste – ein neuer Lauf folgt. Möge es weiter gehen, auf diesem meinem surrealen Weg. – – – Das gleißende Licht durchbricht ungehalten die erhabenen Wipfel im finsteren Tann; Lichtkegel fallen kristallartig schräg hernieder und kitzeln zaghaft den Tau in den zahlreichen Spinnennetzen, welche wie Ketten aus Brillanten die grüne Wiese zieren und leise, still im Odem des zärtlich streichelnden Windes erzittern und nach einer geheimnisvollen Melodie tanzen, die niemand hören darf. Und ein düsterer Schatten bewegt sich lautlos über sie hinfort, finstere Nuancen geboren am Horizont von jenem weißen Schwan, der noch immer am Himmel schwebt.