Der schwarze Vorhang der Finsternis fiel über das verrinnende, seufzende Leben voller Gier hernieder, entfaltete seine grazile Anmut und wehte eindrucksvoll wie ungestüm im stürmischen Wind, sanft begleitet von Heerscharen an herab perlenden Regentropfen, die sich ungehalten ihren standesgemäßen Weg suchten. Die Schilfwälder verneigten sich demütig und ließen sich zärtlich streicheln, indessen am weiten Horizont jählings ein edler Bussard erhaben kreuzt und einen trockenen Hort aufsuchen wird. Versunken im allumfassenden, mentalen Nichts laufe ich und laufe in der abgeschiedenen Einsamkeit und gebe mich den gefühlten Empfindungen hin, die ich nicht in Worte kleiden will. Es gibt Momente im Leben, in denen wünscht man sich von Herzen, daß die zutiefst flüchtige Zeit innehält, in ihrem ungerührten Wesen, so daß die wertvollen Sekunden niemals vergehen mögen. Temporär einfrieren im strömenden, alles verzehrenden Fluß der Zeit. Freilich steht das Gros meiner Beiträge im Kontext Täglichlaufen, dementsprechend rede ich natürlich hier von Laufeinheiten, die nie hätten enden dürfen – wie der oben beschriebene Ansatz – und doch fanden und finden sie stets ihren unausweichlichen Schlußpunkt. So war es immer und so wird es immer sein.
Wer behutsam in das kraftvoll wogende Wasser eines Sees hinab gleitet, die Augen schließt, um hernach langsam unterzutauchen, bricht in eine andere Welt auf, verläßt die altbekannte und nicht viel anders sind die ausgewählten Läufe in ihrem Charakter, von denen ich mir wünschen würde, sie mögen nie enden. Zwar handelt es sich nur um höchst banales Laufen und doch bin ich längst in einem anderen Weltgesang angekommen – insbesondere in einem fühlenden Rahmen. Und was könnte bedeutender sein? Aber nichts währt für immer und wie alles, vergehen auch diese raren, wunderbaren Augenblicke in meinem Dasein. Die endliche Lebenszeit verrinnt rasant und ist durch nichts aufzuhalten.
Tage und Menschen kommen und gehen. Was bleibt? Nichts. Wo ist die sogenannte Zeit nur geblieben? Erst scheinbar gestern vollzog ich meine gelebte Dekade – der EINE Tag im Täglichlaufen, sodann materialisierte sich der Tag von 12 Jahren Täglichlaufen, welcher mitnichten andauerte, denn auch jene Feierlichkeit ist seit langer Zeit in das Reich der Vergessenheit eingetreten. Verweht im endgültigen Sturm der melancholischen Reminiszenz. An die zahlreichen Jubiläen zuvor kann ich mich partiell kaum noch erinnern. Vergangen. Früher registrierte ich mein Täglichlaufen nicht wie heute, ich interpretierte es gleichgültiger und nahm das darin innewohnende Geschenk nicht im Ansatz wahr. Ja, dieser Weg war und ist ein permanenter Pfad der Reife, der persönlichen Entwicklung – das Täglichlaufen tangiert meine Persönlichkeit und ich selbst latent diesen meinen Weg. Vieles ist bewußt und noch mehr unbewußter Natur. Wenn es gelingt, das unbewußte zu gewahren – bewußt wahrzunehmen und zu schätzen, dann tritt der pure Genuß der Zufriedenheit ein, der die Läufe veredelt und somit seinesgleichen sucht.
Und der heutige Jubiläumslauf? Ja, heute triumphiert mein surreales Halbjahresjubiläum – Zwölf Jahre und Sechs Monate Täglichlaufen. Ich habe es mit immenser Freude vollzogen. Manch einer wird damit gerechnet haben, explizit jene Menschen, die mich persönlich kennen und mich tagtäglich beobachten und in meinem Laufareal erwarten. Nun, i c h selbst habe mir das nicht gedacht, daß ich derlei realisieren könnte – wie kann ich wissen, was morgen sein wird? Vielleicht lebe ich morgen nicht mehr – alles ist möglich. Staub im Wind. Entsprechend konzentriere ich mich immer nur auf den heutigen Lauf, alles andere ist Illusion; ein Gedankenspiel der Fragilität. Wie dem auch sei, wenngleich die realisierte Jahreshälfte nicht den Wert eines neuerlichen Jahres besitzen kann und darf – und doch, und doch noch viel kostbarer sein muß! – so handelt es sich demungeachtet um ein höchst wertvolles Ereignis für mich. Im Zeichen des fragilen Konstruktes der Gesundheit muß jeder einzelne Tag mit einer tiefen Wertschätzung geachtet werden. Ganz zu schweigen von jener Permanenz, die ich bis dato formen durfte.
Das gilt umso mehr, wenn ich mich an den Jahresauftakt besinne, der mit einem erschreckenden Paukenschlag begann und die Intention meines Täglichlaufen an den Rand des Abgrundes warf und auch vor wenigen Tagen erlebte ich Situationen, die möglicherweise für einen Schlußpunkt hätten verantwortlich zeichnen können. In beiden Fährlichkeiten zog ich die Damenwelt offenkundig gravitätisch an, welche in der Konsequenz erbarmungslos beschlossen, erste Annäherungsversuche gleich mit ihrem Auto zu versuchen – und wenn ich die „Attentate auf mein Leben“ nicht als Fastunfälle gewertet habe, viel hat damals nicht mehr gefehlt. Dieses Spiel endet nimmer mehr. Aber sind es nicht genau diese Momente, die sich intensiv einprägen?
Unzählige prachtvolle Begebenheiten durfte ich erleben und sehr viele von ihnen haben sich rigoros in mein Gedächtnis eingebrannt, aber lange nicht alle – während ich die negativen Situationen nahezu geschlossen aufzählen kann. Doch ist dies symptomatisch für mein Täglichlaufen, welches sich in einem besonderen Maße durch die Herausforderungen und Härten definiert. Nichts wurde mir geschenkt und solche etwaigen, törichten Geschenke wären zudem ohne Wert; denn wie könnte ich stolz auf etwas sein, was mir geschenkt wurde? Und ja, ich bin extrem stolz auf mich – daß ich heute hier verkünden darf, ich bin seit Zwölf Jahren und Sechs Monaten jeden einzelnen Tag gelaufen; ohne Ausnahme wandele ich bis heute auf dem Weg der Einzigartigkeit im gelebten Täglichlaufen. Selbstverständlich nicht immer mit Lust und Freude, Hingabe und Genuß – wer dies behauptet, weiß nichts vom Täglichlaufen – aber doch täglich mit dieser meinen Liebe zur Bewegung und zur meiner geliebten Natur. Ohne die einzigartige Natur gäbe es mein Täglichlaufen in keiner Weise, das muß ich an dieser Stelle wiederholt konstatieren, gleichwohl vertiefe ich die Thematik jetzt nicht weiter – in anderen Beiträgen ist dies bereits detailliert geschehen.
Täglichlaufen ist nur mein gelebter Ausdruck von der Liebe zur Natur, verbunden mit Respekt und Wertschätzung und der Bewegung – und damit zur körperlichen wie mentalen Gesundheit respektive Gesunderhaltung. Wie oft konnte ich früher nicht laufen, kausal bedingt durch gesundheitliche Wehwehchen, die immer wieder einmal auftraten; damals, als unregelmäßiger Läufer? Wie oft habe ich das bereits bedauert, daß ich nicht früher zum Täglichläufer wurde, aber das Leben geht seinen eigenen – nicht berechenbaren Weg – und dem muß ich mich gnadenlos beugen. Allein, wäre der initiale Auftakt früher eingetreten, hätte mich hernach auch der Geist des Täglichlaufens entführt? Ich bin geneigt anzunehmen, daß mein Lebensweg wenn auch nicht konträr, so doch anders verlaufen wäre. Optionen, die vertan sind, sind nicht reproduzierbar – das gilt im Übrigen auch für mein Täglichlaufen selbst – einen Stil in jener intensiv gelebten Art und Weise ist nur einmal im Leben realisierbar. Wer will, kann darüber sinnieren, was es für mich bedeutet, diese Philosophie noch weiter leben zu dürfen und wie hoch das Niveau der persönlichen Einstufung als „Kostbarkeit“ für mich sein muß. So sei es. Nichtsdestotrotz bin ich trotz all der Widrigkeiten tief mit dieser Konzeption verbunden, verwoben und möchte nicht einen Tag missen. Hier offenbart sich der gewichtigste Vorteil in diesem Stil – selbst Denken ist überflüssig geworden, um meine Intention zu leben – und parallel dazu, enttarnt sich hier der gewaltigste Nachteil, denn wie oben angedeutet, währt nichts für alle Zeiten und auch mein Täglichlaufen wird und muß seinen unabdingbaren Niedergang finden. Über jenen Tag der Herausforderung will ich heute nicht weiter sprechen, möge er fern sein oder nicht – bis dahin werde ich meine Philosophie der Zufriedenheit mit Hingabe praktizieren. Wie könnte ich auch nicht, ja, wie könnte ich auch nicht?
Nicht nur ich habe mich verändert in all der Zeit, nein, auch mein Laufareal ist ein anderes geworden – auch Flora und Fauna entwickeln sich und gestalten permanent ihren Lebensraum, den ich täglich mit Achtsamkeit besuchen darf. Kein Lauf ist jemals gleich. Es ist ein aufrichtiges Geschenk in der wunderbaren Natur jeden Tag laufen zu dürfen, an ihr partizipieren zu dürfen und wenn auch nicht als Bewohner, so doch als eine Art Gast in ihrem Heim zu weilen. Jeder Lauf ist neu, anders und verschieden – die empfindliche Wahrnehmung obsiegt indes nur für den sensiblen Beobachter. Und heute ist es nun soweit, erneut ist ein halbes Jahr vergangen – aufgesogen von der nicht minder berauschenden Kraft des flüchtigen Nichts, absorbiert für alle Zeiten – umso bedeutender der vorhin absolvierte Regen!Lauf von 14 Kilometern, bei insgesamt 3600 Jahreskilometern, der mit seinem grandiosen Finale einen stolzen Höhepunkt für mich bildet: Zwölf Jahre & Sechs Monate Täglichlaufen In Serie. Ohne Ruhetage. Ausnahmslos. Über alle Widerstände hinweg. Wohlan, heute wird gefeiert!
Abschließend halte ich lächelnd fest, daß es schon eine Ironie des Lebens ist, daß ausgerechnet ich dieses Jubiläum begehen darf – derjenige, der Laufen einst für eine exotische Krankheit hielt und keine 200 Meter ohne Pause geschafft hätte – läuft seit so langer Zeit täglich und hat gar die Erde dabei umrundet – auf die absolvierten Kilometer bezogen. Das Leben wandert wahrlich auf seltsamen Pfaden. Und die Herrlichkeit der Welt ist immer adäquat der Herrlichkeit des Geistes, der sie betrachtet. Wohl wahr. So vergeht Tag um Tag und Jahr um Jahr. Vielleicht gelingt es mir, dreizehn Jahre zu vollenden; ich würde es mir wünschen, aber das ist natürlich kein Ziel. Doch wohin die nebulöse Reise gehen wird, wird sich zeigen. Mein Lied vom Täglichlaufen kann noch Jahre andauern oder zehn Tage. Ich kann mich nur der gnadenlosen Lehrmeisterin der Zeit unterwerfen. Allein, habe ich eine andere Wahl? Solange ich kann und darf, werde ich diese meine Liebe praktizieren und die Ballade mit Hingabe komponieren. Heute Abend werde ich diese Momentaufnahme im Täglichlaufen würdig begehen und auf Zwölf Jahre und Sechs Monate anstoßen und jene vergangene Phase geistig Revue passieren lassen, reich mit mannigfaltigen Erinnerungen, die in dieser Form niemals wiederkehren werden, welche sie umso wertvoller für mich machen. Gelebtes Täglichlaufen. Was habe ich dir nur alles zu verdanken? Ich lebe es, weil ich es liebe und liebe es, weil ich es lebe.