Blauer Himmel. Ungetrübter Sonnenschein. Brütende Hitze. Aufgeheizte Wälder. Verdorrte, verbrannte Pflanzen. Ausgehauchtes Leben. Meine Affinität hinsichtlich der Kälte ist kein Geheimnis, wenngleich sich meine Hingabe im Wandel der Jahre doch etwas gemindert hat. Freilich sind jedwede Gedanken bezüglich der Witterungsverhältnisse im Rahmen meiner Täglichläuferphilosophie unangemessen wie sinnlos. Demungeachtet trete ich nach wie vor höchst widerwillig in die verfemte Hitzephase ein. Zu Beginn forderte die ungewohnte Wärme ihren Tribut; ich reduzierte meine tägliche Strecke auf zehn Kilometer und eine wirkliche Freude stellte sich auf Grund der seltenen heißen Herausforderung nicht ein. Im Gegenteil, derart unwillig absolvierte ich seit langem keinen Lauf mehr. Mittlerweile ist die körperliche Anpassung vollzogen – und auch die mentale Harmonisierung ist abgeschlossen. Derzeit genieße ich mein Täglichlaufen wieder mehrheitlich, selbst in der größten Hitze, trotz der intensivierten, solaren Belastung. Ja, ich bin auch geneigt, den Sommer als herrlich zu interpretieren, vorausgesetzt man läßt sich bedingungslos darauf ein.
Im Winter wundern sich permanent die zahlreichen Beobachter, wie ich nur in kurzer Bekleidung der Kälte trotzen kann. Entsetztes Rufen und Nachfragen allenthalben. Obwohl sie seit vielen Jahren nichts anderes sehen und sich daran gewöhnt haben sollten. Und derzeit? Nun staunen die gleichen Menschen, wie ich in der sommerlichen Hitze laufen kann. Das gleiche gilt für Regen, Schneestürme etc. – die externen Zuschauer sind nie zufrieden – körperliche Betätigung scheint in der heutigen Gesellschaft ungesund zu wirken. Jene Menschen werden mich nie verstehen. Es erscheint ihnen fremd, weil sie nicht im Ansatz nachvollziehen können, wozu der menschliche Körper fähig ist. Sie haben ihre Körper nie gefordert und sind sich ihrer – nunmehr verkümmerten, aber nicht verlorenen – Fähigkeiten nicht bewußt. Und eine ähnliche Aktivität, ja, überhaupt eine Regsamkeit etablieren, um somit ein fundiertes Urteil zu bilden? Mitnichten. Sie stehen sich hierbei selbst im Wege, ihre eigene mentale Unzulänglichkeit hindert sie daran, die vermeintlich unüberwindlichen Grenzen ihres Körpers zu erkennen – und zu verschieben. Sie wissen es nicht besser. Und sie wollen es auch gar nicht. Nun, meine Einschätzung mag getrost überheblich anmuten, allerdings sei angemerkt, daß ich aus persönlicher Erfahrung spreche, denn ich war einst genauso. Vor 15 Jahren hätte ich mein heutiges Selbst auch nicht verstanden. Aber Menschen können sich ändern. Bewußt wie unbewußt. Doch man muß lernen es zu wollen, tief aus dem Inneren heraus, sofern man den Weg langfristig beschreiten will.
Entsprechend die bekannten Reaktionen des Publikums. Die Nachbarn kommentierten meine Aktivität am Dienstag, „Das ist doch viel zu heiß!“. Später sah mich ein Ultraläufer, er lächelte mich verständnisvoll an und sprach: „Ich muß heute auch noch laufen“. Selbstredend bin ich kein Ultraläufer, aber es verdeutlicht die differenzierte Wahrnehmung. Zwei Menschen. Zwei verschiedene Rückmeldungen auf den gleichen Anblick; der Winkel des Betrachters. Das ist die symbolhafte Macht des Geistes. Einmal mehr zitiere ich Heinrich Heine, der einst trefflich formulierte, „Die Herrlichkeit der Welt ist immer adäquat der Herrlichkeit des Geistes, der sie betrachtet“. Oder mit meinen damaligen Worten: „Es ist wie mit allen Dingen im Leben; was man ist und was man wird, fängt in erster Linie im Kopf an. Die Macht des Geistes. Sie entscheidet, ob wir schwach bleiben oder stark werden wollen. Ob wir widerstehen oder der Versuchung nachgeben. An uns liegt es. Unser Geist entscheidet – Gedachtes und Nichtgedachtes wird zur Realität. Letztendlich ist jede Entscheidung richtig – doch auch das definieren nur wir selbst. Reißen wir die Grenzen nieder, die wir uns selbst gesetzt haben. Es lohnt sich. Immer. Zu jeder Zeit.“
Nur an uns, an der geistigen Einstellung liegt es, ob wir beispielsweise einen kurz gekleideten Läufer bei Kälte oder das Täglichlaufen in der sengenden Sonne als etwas Besonderes oder als pure Natürlichkeit betrachten. Und ob wir dadurch Rückschlüsse auf den eigenen Körper ziehen und vielleicht sogar Änderungen in Erwägung ziehen – oder eben nicht. Möglicherweise existieren auch gar keine Grenzen. Jedoch, das Erkennen setzt ein Praktizieren voraus. Ich selbst bin mit meinem Körper sehr zufrieden; nach den gemäßen Anpassungsphasen stören mich weder die Hitze noch die Kälte, von individuellen Präferenzen natürlich abgesehen. „Ist das nicht extrem anstrengend bei der Hitze zu laufen?“, wurde ich gefragt. Durchaus. Scheinbar. Aber kann etwas, was man von Herzen liebt, welches Zufriedenheit, Genuß, Harmonie, Stärke und Wohlbefinden und nicht zuletzt Gesundheit generiert – ja, kann das anstrengend sein?
Eines habe ich durch meinen eigenen, natürlichen Weg in den vergangenen Täglichläuferjahren gelernt – fremde Dinge oder Lebenseinstellungen, die ich nicht nachvollziehen kann, beurteile und bewerte ich nicht sofort; von einem inadäquaten Kommentieren ganz zu schweigen, nicht ohne mich damit explizit auseinandergesetzt zu haben. Denn viele Dinge des Lebens erscheinen auf den ersten Blick deutlich und doch kann die wahre Intention dahinter formidabel verborgen und eine divergierende sein. Die Macht des Geistes. Wir sehen, was wir sehen wollen.