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Mein 200. Regenlauf. Oder die Verkörperung von Frieden, Harmonie und Zufriedenheit.

Posted in 200. Regenlauf, Faszination Regenlauf, Pro Regenlauf on 29. August 2010 by Täglichläufer

Obacht! Ich muß Sie warnen. Ja, Sie! Sollte sich jetzt die Welt verdunkeln, ein starker Sturm aufziehen, der heulend seinen Wehmut klagt und sich unter ihrem Flachbildschirm Rinnsale von Wasser bilden – ja, dann ist das von mir gewollt. – – –

Welch ein pathetischer Titel für ein wenig schnöde Statistik, die nur partiell korrekt ist. Freilich durfte ich am vergangenen Donnerstag meinen 200. Regenlauf absolvieren – auf Basis meiner Daten, die im Jahr 2000 ihren Ursprung haben. Doch auch 1998 und 1999 erlebte ich bereits die ersten Regenläufe, welche ich damals jedoch nicht gesondert in meiner Laufstatistik erfaßte, schließlich war ich nur ein schwächlicher Schönwetterläufer. Ergo bezieht sich die nasse Zahl 200 nur auf ein Jahrzehnt, meine Laufjahre zuvor – wabern hinter einem nebulösen Schleier. Verborgen im Reich der Erinnerungen. Für immer.

Der 23. Regenlauf in diesem Jahr sollte also mein 200. nach der Zehnjahreszählung werden. Und ja, er ist formidabel gelungen – der scheinbar affektiert formulierte Titel erreicht die Realität bei weitem nicht. Der Tag begann dunkel, er wollte nicht erwachen; eine düstere Morgenwelt umhüllte mich – während es leise regnete. Sehr verhalten, der Horizont weinte still und lautlos, nur die belebenden Windböen entführten mich in eine fast totale Einsamkeit. Trotz der gelebten Bescheidenheit der nassen Witterungsmächte war ich nach wenigen Minuten durchnäßt, was mich nur beflügelte. Belebende Kraft. So ging es fort und ich folgte den zahlreichen Wolken, die von einem imaginären Künstler schwungvoll voller Nuancen in den Himmel gezeichnet wurden. Die Intensität des Regens blieb nicht statisch, sie verstärkte und verringerte sich nach Belieben, doch ließ sie während meiner 15 Kilometer nie wirklich nach, wenngleich die Eindringlichkeit ein ausgewogenes Maß nicht überschritt.

Mein treuer Begleiter, die Einsamkeit, ließ mich nicht los. Allein und fernab von Menschen durchstreifte ich im Laufschritt mein geliebtes Hochwasserschutzgebiet mit seinen angrenzenden Wäldern und nur zahlreiche Tierbegegnungen beeindruckten mich zutiefst. Der leise Regen, die finsteren Wolken und die Unendlichkeit am Firmament verkörperten eine pure Harmonie des Seins, die tief in mir eine tiefe Zufriedenheit und Frieden auslösten. In diesen Minuten des schweigsamen Laufens durchströmte mich die nicht greifbare Aura des Glücks, ja, der pure Genuß obsiegte. Jedwede Beschreibung dieser Wonne wäre nur unzureichend, so daß ich mir diese erspare. Was sind auch Worte im Vergleich zu Empfindungen, zu Gefühlen! Der 200. Regenlauf war ein zufriedener Genußlauf par excellence, wie er nur von der Glücksseligkeit höchstselbst geschrieben werden kann. So stehe ich erstarrt am Ufer, verharre in diesem Wimpernschlag des Lebens; während unaufhörlich die Tropfen hernieder trommeln, die Wellen durch den steten Sturm an den Strand getragen werden, die facettenreichen Wolken in der weiten Ferne melancholisch von dannen ziehen und hoffe auf mehr Läufe in dieser von mir so geschätzten Witterung. Wie wertvoll ist dieser eine erfüllende Moment! Als lächelnde Reminiszenz schließe ich mit erinnernden Eindrücken aus vergangenen regnerischen Täglichlauftagen, die ich einst in den entsprechenden Berichten in Worte gegossen habe – von Freude bis Trauer. – Dunkelheit. Regen. Wind. Starkregen. Sturmböen. Einsamkeit. Abgeschiedenheit. Melancholie. Tränen im Regen. Willkommen. In meiner Welt!

Tränen im Regen, Erinnerungen

Das T-Shirt durchweicht in wenigen Sekunden, die Haare weinen durch das nasse Stakkato, feinste Rinnsäle bahnen sich ihren natürlichen Weg vom Kopf und perlen Tränengleich mein lächelndes Antlitz herab.

Die Welt ist eine andere geworden; der Regen hält die Scheuen und Ängstlichen zurück, er sorgt dafür, daß diese berauschende Atmosphäre nur von wenigen Menschen gefühlt werden wird. Die Welt ist zärtlicher geworden, getragen von einer sanften, behaglichen Ruhe. Eine leise Stille, die sich erst in der Nässe offenbart. Der prosperierende Herzschlag des Lebens pulsiert langsamer und zugleich schneller, einer leidenschaftlichen Liebe geschuldet.

Es war ein Gefühl, als ob sich diverse Energieteilchen des Lebens, unbedeutende Partikel nur – in mir sammelten und eine Art Strom bildeten, ihre Kraft an mich transmittierten, die sich mit meinem Geist, meiner selbst verbanden und Verborgenes mobilisierten. Scheinbar an der elementaren Substanz des Lebens selbst partizipieren. Ein Gefühl, was sich nicht beschreiben läßt.

So stand ich erstarrt am Ufer des im Sturm aufgewühlten Sees, die Regentropfen suchten sich ebenso wie die unbarmherzigen Wellen ihren Weg und ich sah nur schweigend auf das Wasser hinaus – zugleich streichelte mich unablässig der behagliche Wind. Mein Körper glich einer Dampfsäule, während der liebevolle Niederschlag stetig zunahm. Die Zeit vergessend, sämtliches Denken auf ein absolutes Minimum reduziert. Nur noch fühlend.

Bedecktes Land. Leere Weite. Ungestüme Freiheit. Beherrschende Einsamkeit, trotziger Regen und leiser Sturm arbeiteten Hand in Hand und hielten jeden aufmüpfigen Besucher von meiner Welt entfernt, was ich sehr zu schätzen wußte. Die Tiefe des Waldes wirkte durch die konzentrierten Regentröpfchen weitaus finsterer als es sonst die Regel ist. Eine aussichtslose Dunkelheit streckte ihren Arm nach mir aus – ich wehrte mich nicht – sie umarmte mich und zog mich in den schwarzen Wald.

Das Bewußtsein tritt in den Hintergrund, nur die elementaren Empfindungen sind noch von Bedeutung – durch die Welt laufend, mit dem Geist unbewußt fliegend – stürme ich durch die Wälder, nur die grundlegendsten Dinge fühlend.

Ich verlasse den ersten Wald und beobachte die unendlich leere Weite des Himmels. Jener zeigt sich von seiner zutiefst düsteren Seite, gleichwohl die Grauschattierungen sich in mannigfaltigen Nuancen stufenlos voneinander absetzen. Die Finsternis sollte weiterhin das Zepter der Herrschaft tragen, was ich von Herzen begrüßte; ich gönne es ihr.

Just in dieser Sekunde verschärften sich die grauen Schatten am Firmament und transformierten sich in schwarze Nuancen. Der illusionäre Regenkünstler bot mir einen nassen Pakt an, den ich nicht ausschlagen konnte. Ich akzeptierte und gestand mir den Regenlauf ein – plötzlich setzte eine Sturmböe ein, strich um mein Gesicht und riß mich willensstark mit sich – vielleicht als Symbol für das soeben vollzogene Bündnis. Der feine Niederschlag wurde durch kräftigen Regen ersetzt; sämtliche Geigen, die vorher den Himmel bevölkerten, entluden sich mit Macht.

Nachdem mein 162. Regenlauf beendet war, stand ich auf der Straße, ca. eine Minute mit geschlossenen Augen. Regungslos. Mein Geist löste sich augenscheinlich vom Körper und in Gedanken absolvierte ich den Lauf erneut – nur in einer viel höheren Geschwindigkeit.

Gewaltige Flotten von Wolkengaleonen präsentierten sich in einer prächtigen Parade – auf facettenreichen Graunuancen basierend – und demonstrierten der entfernten Erde ein kräftiges Regenkonzert. Eine bis in das kleinste Detail abgestimmte Symphonie, welche stakkatoartig die Regentröpfchen in die ehedem sommerliche Welt entließen. Einmalig komponiert – eine Ode an das Leben.

Ich verlasse die Wälder und laufe ausnahmsweise entlang der Straße, was mir natürlich nicht gefällt. Unendliche Autokolonnen, Abgase und Lärm – nicht meine Welt. An einer Bushaltestelle warten eine Frau und ein Mann im Rollstuhl. In der Regel handelt es sich um starke Charaktere, die mitnichten bedauert werden wollen. Dennoch, der Mann tut mir leid. Blickkontakt. Augen sagen mehr als Worte. Laufen bei dieser Witterung bedeutet für mich die Erfüllung meiner Laufintention schlechthin und dieser Mensch ist augenscheinlich am Rollstuhl gefesselt. Der traurige Blick des Mannes macht mich betroffen. Was mich jedoch über alle Maßen ärgert, ist die Tatsache, daß die besagte Bushaltestelle nicht überdacht ist. Die beiden stehen im Regen, wortwörtlich.

Nach 200 Metern bin ich komplett durchnäßt; auf der Brücke breite ich meine Arme aus, gucke in den Himmel, nehme die Wolken in ihren differenzierten Grauschattierungen wahr und kann nur noch lächeln. Die vorbei fahrenden Autofahrer denken sicherlich, „So ein Spinner“. Ja, sollen sie ruhig. Je größer die unverständlichen Blicke, desto mehr sagt das über diese Personen aus und umso ausgeprägter mein Lächeln.

An dieser Stelle muß ich nochmals meinen Dank an Hauptfeldwebel Gl. aussprechen, seines Zeichens damaliger Scharfschützenausbilder in meinem Panzergrenadierbataillon, der diese Liebe zum Regenlauf in mir entzündete. Wenngleich er das wohl nie lesen wird, mein verbindlicher Dank ist ihm sicher.

Als ich zu Hause ankomme, ist nichts mehr an mir trocken. Die Kleidung ist schwer geworden und klebt am Körper. Der Lauf war schön, ein sehr nachdenklicher Lauf, durchwoben von Melancholie und Freude – die unterschiedlichsten Gefühle. Begegnungen wie die heutige reißen mich aus der Routine und offenbaren, wie fragil die Endlichkeit doch ist. Ich habe unverschämtes Glück, daß ich schon so lange täglich laufen darf. Wir sollten jeden einzelnen Lauf genießen, wer weiß, was das Leben für uns noch bereithält.

Geliebter Regen. Mein Hohelied.

Posted in Läufer versus Nichtläufer, Pro Regenlauf on 21. November 2009 by Täglichläufer

Ein gemütlicher Abend vor wenigen Tagen. Anregende Gespräche innerhalb einer illustren Runde dominierten den Moment. Irgendwann tendierten die Worte in Richtung des Laufsportes, speziell auf die Thematik „Regenlauf“. Die Diskussionspartner setzten sich aus mehreren Nichtläufern und einer Ex-Läuferin zusammen. Zusätzlich ein aktiver Läufer mit einer Lauferfahrung, die meine 12 ½ Jahre als sehr gering erscheinen lassen – und nicht zu vergessen, meine Wenigkeit als ein Vertreter der Täglichläuferzunft. Ich muß gestehen, ich bin es leid, Menschen etwas näher bringen zu wollen oder zu erklären, was sie aus einer Form von Intoleranz heraus nur ablehnen. Ein sinnloses Unterfangen. Dies ist mir zu müßig.

Dennoch, nachdem ich lange schwieg, ließ ich mich auf die Unterredung ein. Die Teilnehmer waren in ihrem Denken gespalten. Auf der einen Seite absolute Ablehnung: „Wie kann man nur im Regen laufen? Man wird ja sooo naß! Die Schuhe werden naß! Alles klebt. Eklig! Das ist ungesund! Regen und dann noch Wind? Nein, das kann nicht gut sein!“ – Mehrere Augenpaare sahen mich an: „Wie kannst Du das nur schön finden?“. Dazwischen der aktive Läufer: „Im Sommer, bei 20 oder 25 C° im Regen zu laufen, ist angenehm, ja, aber wenn es kälter wird? Nein. Dann nicht mehr!“. Und zu guter Letzt meine Person auf verlorenem Posten – als leidenschaftlicher Regenläufer.

Ähnlich wie in meiner favorisierten Rubrik „Faszination Regenlauf“ beschrieb ich meine Empfindungen während dieser wunderbaren Witterungsverhältnisse – mein Hohelied auf den Regen. Wie es ist, wenn man im Laufschritt beherzt die Welt erobert und am Horizont die durch finstere Wolken zum Abzug gezwungene Sonne langsam beobachten kann. Allmählich verflüchtigt sie sich, ihre goldenen Strahlen verblassen, gewährt der dunklen Präsenz mehr und mehr Raum, um letztendlich zaghaft zu einem gefühlten Hauch im Nichts zu werden. Während die gelobte Parade der grauschwarz schattierten Geisterwolken immer bravouröser aufzieht und unerbittlich Stellung bezieht. Bis dann die ersten Wassertropfen leise zu Boden segeln, nach und nach, einsame Tröpfchen, die einzelne Sandkörnchen explosionsartig hochfliegen lassen, um anschließend elegant zu verpuffen. Doch diese Einsamkeit ist eine Illusion; das nieder gleitende Regenwasser vereinigt sich zu einem lieblichen Nieselregen und etabliert ein immer stärker werdendes Prasseln. Das T-Shirt durchweicht in wenigen Sekunden, die Haare weinen durch das nasse Stakkato, feinste Rinnsäle bahnen sich ihren natürlichen Weg vom Kopf und perlen Tränengleich mein lächelndes Antlitz herab. Der vormals trockene Pfad verfärbt sich dunkelnaß und die ersten Pfützen reflektieren den grauen Himmel. Zu Beginn weiche ich ihnen noch aus, doch sobald die Schuhe vollkommen naß sind, ist dies nicht mehr nötig. Unbeherrschte Wogen des aufgewühlten Sees bahnen sich unaufhaltsam ihren Weg an das von weißer Gischt gesäumte Ufer; unsichtbare Sturmdämonen reiten wild über das Seewasser.

Die Welt ist eine andere geworden; der Regen hält die Scheuen und Ängstlichen zurück, er sorgt dafür, daß diese berauschende Atmosphäre nur von wenigen Menschen gefühlt werden wird. Die Welt ist zärtlicher geworden, getragen von einer sanften, behaglichen Ruhe. Eine leise Stille, die sich erst in der Nässe offenbart. Der prosperierende Herzschlag des Lebens pulsiert langsamer und zugleich schneller, einer leidenschaftlichen Liebe geschuldet. Regungslos im Geist und voller körperlicher Kraft genieße ich meinen Regenlauf. Gesellen sich noch sanfte bis ungestüme Sturmböen hinzu, kehre ich zu der Quelle meines Seins zurück. Elementares Dasein. Ich laufe nur noch, empfinde, fühle und genieße – und denke nicht mehr. In Frieden und Einklang mit der omnipotenten Natur und mit mir selbst – lebe ich. Auf Gefühle reduziert. Nicht mehr. Nicht weniger.

Nach meiner glühenden Beschreibung der von mir so geliebten Regenläufe blickte ich einmal mehr in verständnislose Gesichter: „Welch ein Unsinn!“ war in ihnen zu lesen; „Du verrückter Kerl!“ – sagten sie lächelnd. Mitfühlend. Furchtsame verstehen Furchtsame. Täglichläufer verstehen Täglichläufer. Leidenschaftliche Regenläufer verstehen leidenschaftliche Regenläufer. Menschen gleicher Art verstehen immer einander. Meinen Vortrag hätte ich mir sparen können, aber das wußte ich vorher. Ich werfe es ihnen jedoch nicht vor. Es gab mal eine Zeit in meinem Leben, da hätte ich über meine Worte auch nur gelacht und mich gefragt, ob das noch normal ist. Doch was ist schon normal? Was ist verrückt? Wer definiert das? Für sich? Für andere? Mit welchem Recht? Die Menschen sehen das, was sie sehen wollen. Wer den Blick hebt, sieht gleichwohl eine andere Welt.

So verging der Abend. Interessante Gespräche zwischen grundverschiedenen Charakteren, die zwar verbunden waren, sich partiell aber nicht verstanden. Sie verstanden mich nicht – und ich verstand sie nicht. Während des nächsten Regengusses werden sie an mich denken und mit dem Kopf schütteln. Auch ich werde mit einem Lächeln an diesen denkwürdigen Disput zurückdenken und ebenfalls mit dem Kopf schütteln, indes ich kräftig in eine Pfütze springen werde und ein nasser Blätterarm gegen meine Schulter peitscht. Zwei konträre Denkweisen, die beide ihre Berechtigung besitzen. Die Kunst besteht darin, sie den anderen nicht aufzuzwingen. Eine simple wie komplexe Erkenntnis. Abschließend betrachtet, danke ich dem beständig unbeständigen Zufall des Lebens für jenen Augenblick, der mich einst zu dem machte, was ich heute bin. Ein inbrünstiger Verehrer der regnerischen Natur, der nassen Welt, des vor Regen triefenden Lebens. Ich liebe es. Aus tiefstem Herzen. Und ja, allein mein Vortrag über die Regenläufe ließ mich lächeln; vor meinem geistigen Auge zogen die erlebten Erinnerungen vorbei, die mich mit tiefer innerer Zufriedenheit auf die entsetzten Freunde blicken ließen. Ein intensives Gefühl.