Archive for the Pro Naturgewalten Category

Der Glanz in der Dunkelheit

Posted in Photos, Pro Naturgewalten on 7. November 2010 by Täglichläufer

Das Rad der Zeit dreht sich treu in die Vergangenheit. Mein Jubiläum, 11 Jahre als Täglichläufer nahm seinen würdigen Platz in meiner Erinnerung ein. Ja, ich lebe es weiter. Aber dies ist keine Überraschung, sondern Natürlichkeit – ich erwarte auch nichts anderes von mir. – Regenstürme. Sonnenlicht. Windstille. Weiße Kälte. Unzählige Wassertropfen, die weinend am Fenster herunter rinnen, sich verflüchtigen. Geborgenheit in der Finsternis. Einsame Abgeschiedenheit des Lebens. Der oberflächlichen Welt entfernt. Entkommen, verborgen. Rückkehr zu den wahren Empfindungen, verständnisvolles Fühlen – geboren im Alleinsein mit sich selbst und der Natur. Verharren. Goldkronen in den Wipfeln der Bäume, die sich dank der Böen gen Himmel recken und sie doch nie berühren werden. Unerfüllte Sehnsucht. Nahe Distanz. Blätterstürme sausen danieder, reißen zärtlich alles mit; in der puren Vollkommenheit vereint. Düstere und helle Tage im herbstlichen Wechselspiel der natürlichen Liebe. Das Knistern des gelben Laubes im goldroten Forst, entblößte Bäume allenthalben. Intensives Fühlen der zauberhaft mächtigen Natur.

Schilfmeere und Gräserozeane wiegen leise im Wind. Tautropfen glitzern im Sonnenschein. Felder von gewobenen Netzen schimmern in den Halmen, geschaffen von den strebsamen Arachniden. Äste brechen. Der aufgewühlte See peitscht Armaden von Wellen ungestüm an das traurige Ufer. Reflektionen. Welch Glanz in der Dunkelheit! Der Herbst offeriert zahllose Impressionen und Empfindungen für den geneigten Betrachter. Nachfolgend ausgewählte Eindrücke meines Laufareals. Ein Bild sagt mehr als Worte? Nein. Kein Photo kann derart tief in das Herz eindringen, wie es exponierte Worte mit Macht vermögen, wenn es ihnen gelingt, sich in den geistigen Dimensionen der gehaltvollen Gefühle behutsam zu entfalten.

Im Radio hörte ich vor kurzem folgende Warnung. „Heute ist es sehr ungemütlich; kalt und naß. Bleiben sie bloß zu Hause und gehen sie lieber nicht nach draußen!“ – Was für eine törichte, unsinnige Empfehlung von unwissenden Toren! Die Herrlichkeit der Welt ist immer adäquat der Herrlichkeit des Geistes, der sie betrachtet. Gehen wir hinaus in die Natur und genießen wir sie. Je unbändiger die Witterungsbedingungen, desto intensiver der formidable Genuß. Sich den Wettereskapaden aussetzen, sie anzunehmen – in welcher Form auch immer – und ein Teil von ihnen werden, ja, das ist das Leben. Nicht sich schwach im Haus verkriechen, sondern stark an der natürlichen Welt partizipieren und selbst Anteil an der dargebotenen Kraft nehmen; andere Erkenntnisse gewinnen. Aber die meisten Menschen leben in ihrem geistigen Brunnen des beschränkten Horizontes und sehen nur das, was sie sehen wollen. So sei es.

Ich beginne meinen Lauf und habe erst die Hälfte der nahen Brücke erobert. Gewaltige Sturmlegionen singen mir entgegen, meine Muskeln sind angespannt; ich widersetze mich den Böen. Der Wind ist von einem starken Willen ausgezeichnet, er treibt mir die Tränen in die Augen, wirbelt sie davon. Intensives Fühlen. Ich laufe weiter und weiter, sauge die oben beschriebenen Impressionen auf, verinnerliche sie. Ein Lächeln ist in meinem Antlitz zu lesen. Ich gebe mich den entführenden Mächten der geliebten Natur hin – ausnahmslos – und erfahre wahrhaftige Erfüllung. Ein stolzer Bussard beäugt mich neugierig, flüchtet jedoch nicht. Unendlich viele, wunderbare Eindrücke empfangen meine Sinnesorgane. Im Moment der höchsten Zufriedenheit erinnert sich mein Gehirn an den absurden Radiobeitrag, der innerlich ein lautes Lachen generiert. Ja, man kann das Leben genießen und gleichzeitig seinen Körper wie Geist pflegen. Man kann sich aber auch zu Hause verschließen. Jeder, wie er mag. Ich habe meine Wahl getroffen, vor langer, langer Zeit schon.

Elementare Liebe

Posted in Pro Naturgewalten on 20. November 2008 by Täglichläufer

Erneut ein Plädoyer. Mein Hohelied auf die Naturgewalten. Die erlebten Eindrücke, die ich hier formuliere, sind selbstredend während meiner Läufe entstanden; die Photos stammen aus meinem Laufareal. Folgender Artikel soll die Erkenntnis offenbaren, daß auch in der vermeintlichen „Ungemütlichkeit“ stets Schönes zu finden ist, wenn man sich denn die Mühe macht sich damit auseinanderzusetzen. Dafür muß man nicht Laufen; Spaziergänge sind ebenfalls adäquat. Manche Häßlichkeit dient nur dazu, die wahre Pracht dahinter vor oberflächlichen Menschen zu tarnen. Schließlich bereitet die Offensichtlichkeit selten Freude.

November. Kälte. Dunkelheit. Nässe, Stürmische Tage ohne Licht, doch voller Hoffnung. Unbehaglicher Nebel im Herbst. Deprimierend? Nein. Wir haben die Wahl zwischen Liebe und Haß. Jeder Weg mag auf seine Weise richtig sein. Denn das Leben hat Recht und ist grundsätzlich frei von Wertung. So oder so. Wer sich jedoch bewußt für die Liebe entscheidet, wird lernen auch die düsteren Tage des Jahres zu akzeptieren, ja, sie zu lieben! Schließlich sind sie ein essentieller Bestandteil auf dem Pfad in den Frühling. Die Unbarmherzigkeit der finsteren Jahreszeit existiert nur scheinbar. Hinter dieser Maske verbirgt sich eine ungeahnte gefühlvolle Präsenz. Die alles durchdringende Intensität der natürlichen Witterung im November – letztendlich in allen Monaten – kann man nur durch aufmerksames, intensives Betrachten und sinnliches Beobachten wahrnehmen. Nichts für oberflächliche Menschen ohne sensibles Gespür.

Überwältigende Wolken in den erstaunlichsten Schattierungen am Himmel, von der Macht des Sturmes mit aller Kraft über die Erde getrieben. Ungeduldig umarmt der Wind jeden Läufer, der sich dem widersetzt. Er streichelt uns von allen Seiten, umgarnt uns zärtlich sanft oder zieht uns mit brutaler Autorität fort. In steter Verbundenheit mit den liebenswürdigen Elementen der Witterung. Niederschlag als Geschenk des Himmels, welcher schwach und stark jeden Mutigen begrüßt. Gepeitscht vom unendlichen Odem des Sturmes mit seiner durchnässenden Wirkung. Jeder Laufschritt bedeutet tiefe Erfüllung, man muß sich nur vertrauen und diese Liebe zulassen. Nicht zweifeln, nicht hinterfragen, nicht überlegen – ob es gut oder richtig wäre. Nicht denken; besinnlich genießen.

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Sonne. Versteckt am Firmament. Im ununterbrochenen Kampf mit der Wolkendecke, um temporär zu siegen und mit ihren Strahlen den aufschäumenden See zu erleuchten. Widerspiegelnde Glanzpunkte im Wasser. Reflektierende Wellen, die in steten Wogen an das Ufer preschen und in der Brandung ihre weiße Gischt artikulieren. Natürliche Anblicke des Lebens, die einen verzaubern. Mit dem unfaßbaren Hauch der Ebenmäßigkeit rauben sie mir für einen Moment den Atem. Konzentrierend auf diesen einen Augenblick, ohne zu Denken, meinen Geist einfühlsam auf die Natur gerichtet. Die Zeit steht still – ein ruhiger und nachdenklicher Moment im Fluß des Lebens – Stille. Gelassenheit. Erquickung. Laufen wie in Zeitlupe. Schritt für Schritt. Pure Harmonie. Wie aus dem Nichts umfaßt mich plötzlich die Stimme des Windes und holt mich wieder zurück in die Realität. Die Wiederkehr des Daseins in allen Facetten fühlen. Eine kompositorische Situation der Natur in Vollendung. Unsere schönsten Erlebnisse manifestieren sich nur in den stillsten Minuten.

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Schnee. Weiße Wälder mit gedämpften Wegen, die beim Beschreiten dankbar knirschen. Ast um Ast mit weißer Pracht ausstaffiert. Leise rieselnder Schneefall. Kleine und große Flocken, die behutsam zur Erde nieder schweben. Nur gestört vom Atem, der sich sichtbar in der Luft kristallisiert und einzelne Flocken in ihrer Aura reduziert. Sanftes Laufen in einer verhaltenen Traumwelt, den Fokus auf die Winde im Schnee gelenkt. Immer stärker der winterliche Niederschlag, ergreifende Spiele des kristallinen Wassers. Eingefrorene Augenblicke voller Sanftmut geschrieben in der Sprache der Natur, die das Herz berührt und den Alltag vergessen macht.

Diese großartigen Momente kann man in der angeblich ungemütlichen Jahreszeit erleben. Die meisten Menschen verstecken sich in ihren Häusern, gefangen in der Vorstellung, daß man draußen nichts zu suchen hat. Gefangene ihres eigenen Geistes. Ich kenne derer viele. Sie bemitleiden mich, wenn ich im Regen und Sturm laufe. Sie mißverstehen mein Lächeln, weil sie die wahre Bedeutung nicht ermessen wollen. Ich bemitleide sie, weil sie die Herrlichkeit der Natur nicht zu erkennen vermögen. Unwissend, wozu ihr Körper fähig wäre, keine Vorstellung von der Liebe zu der Natur, gerade wenn sie sich von ihrer unwirklichen Seite zeigt, kombiniert mit der Angst vor dem Wetter. Sie definieren es als „Unwetter“. Doch ich lächele sie weiter an – und sie schicken mir weiterhin traurige Blicke hinterher. Schon Heinrich Heine formulierte sehr treffend, daß die Herrlichkeit der Welt immer adäquat der Herrlichkeit des Geistes ist, der sie betrachtet. An uns liegt es. Lieben oder hassen wir die Witterung. Wir haben die Wahl, doch ändern wird sich das Wetter dadurch nicht. Im Gegensatz zu unserer Einstellung.

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An uns liegt es. Werden wir stark oder bleiben wir schwach? Diese Erkenntnis werden wir nur erlangen, wenn wir sie nicht suchen. Doch erwarten wir sie mit offenen Armen.

Einige Irrwege

Wer sich abwendet von der Schönheit,
der begeht Verrat an der Schönheit des Lebens
und an der Schönheit der Welt.

Wer sich abwendet von der Häßlichkeit,
der begeht Verrat an den Leiden des Lebens
und kämpft nicht mehr gegen Unrecht.

Wer nur noch die Schönheit sieht,
der geht in die Irre.
Wer nur noch die Häßlichkeit sieht,
der geht in die Irre.
Wer nur noch den Kampf gegen Unrecht sieht,
der geht in die Irre.

Wer glaubt nie zweifeln zu dürfen,
an der Schönheit,
an der Häßlichkeit oder sogar
am Kampf gegen Unrecht,
der ist so arm geworden wie der der zweifelt
und glaubt nie mehr glauben zu dürfen.

(Erich Fried)