Das Rad der Zeit dreht sich treu in die Vergangenheit. Mein Jubiläum, 11 Jahre als Täglichläufer nahm seinen würdigen Platz in meiner Erinnerung ein. Ja, ich lebe es weiter. Aber dies ist keine Überraschung, sondern Natürlichkeit – ich erwarte auch nichts anderes von mir. – Regenstürme. Sonnenlicht. Windstille. Weiße Kälte. Unzählige Wassertropfen, die weinend am Fenster herunter rinnen, sich verflüchtigen. Geborgenheit in der Finsternis. Einsame Abgeschiedenheit des Lebens. Der oberflächlichen Welt entfernt. Entkommen, verborgen. Rückkehr zu den wahren Empfindungen, verständnisvolles Fühlen – geboren im Alleinsein mit sich selbst und der Natur. Verharren. Goldkronen in den Wipfeln der Bäume, die sich dank der Böen gen Himmel recken und sie doch nie berühren werden. Unerfüllte Sehnsucht. Nahe Distanz. Blätterstürme sausen danieder, reißen zärtlich alles mit; in der puren Vollkommenheit vereint. Düstere und helle Tage im herbstlichen Wechselspiel der natürlichen Liebe. Das Knistern des gelben Laubes im goldroten Forst, entblößte Bäume allenthalben. Intensives Fühlen der zauberhaft mächtigen Natur.
Schilfmeere und Gräserozeane wiegen leise im Wind. Tautropfen glitzern im Sonnenschein. Felder von gewobenen Netzen schimmern in den Halmen, geschaffen von den strebsamen Arachniden. Äste brechen. Der aufgewühlte See peitscht Armaden von Wellen ungestüm an das traurige Ufer. Reflektionen. Welch Glanz in der Dunkelheit! Der Herbst offeriert zahllose Impressionen und Empfindungen für den geneigten Betrachter. Nachfolgend ausgewählte Eindrücke meines Laufareals. Ein Bild sagt mehr als Worte? Nein. Kein Photo kann derart tief in das Herz eindringen, wie es exponierte Worte mit Macht vermögen, wenn es ihnen gelingt, sich in den geistigen Dimensionen der gehaltvollen Gefühle behutsam zu entfalten.
Im Radio hörte ich vor kurzem folgende Warnung. „Heute ist es sehr ungemütlich; kalt und naß. Bleiben sie bloß zu Hause und gehen sie lieber nicht nach draußen!“ – Was für eine törichte, unsinnige Empfehlung von unwissenden Toren! Die Herrlichkeit der Welt ist immer adäquat der Herrlichkeit des Geistes, der sie betrachtet. Gehen wir hinaus in die Natur und genießen wir sie. Je unbändiger die Witterungsbedingungen, desto intensiver der formidable Genuß. Sich den Wettereskapaden aussetzen, sie anzunehmen – in welcher Form auch immer – und ein Teil von ihnen werden, ja, das ist das Leben. Nicht sich schwach im Haus verkriechen, sondern stark an der natürlichen Welt partizipieren und selbst Anteil an der dargebotenen Kraft nehmen; andere Erkenntnisse gewinnen. Aber die meisten Menschen leben in ihrem geistigen Brunnen des beschränkten Horizontes und sehen nur das, was sie sehen wollen. So sei es.
Ich beginne meinen Lauf und habe erst die Hälfte der nahen Brücke erobert. Gewaltige Sturmlegionen singen mir entgegen, meine Muskeln sind angespannt; ich widersetze mich den Böen. Der Wind ist von einem starken Willen ausgezeichnet, er treibt mir die Tränen in die Augen, wirbelt sie davon. Intensives Fühlen. Ich laufe weiter und weiter, sauge die oben beschriebenen Impressionen auf, verinnerliche sie. Ein Lächeln ist in meinem Antlitz zu lesen. Ich gebe mich den entführenden Mächten der geliebten Natur hin – ausnahmslos – und erfahre wahrhaftige Erfüllung. Ein stolzer Bussard beäugt mich neugierig, flüchtet jedoch nicht. Unendlich viele, wunderbare Eindrücke empfangen meine Sinnesorgane. Im Moment der höchsten Zufriedenheit erinnert sich mein Gehirn an den absurden Radiobeitrag, der innerlich ein lautes Lachen generiert. Ja, man kann das Leben genießen und gleichzeitig seinen Körper wie Geist pflegen. Man kann sich aber auch zu Hause verschließen. Jeder, wie er mag. Ich habe meine Wahl getroffen, vor langer, langer Zeit schon.