Lächelnd gestehe ich es ein, die vergangenen Jahre im Zeichen des gelebten Täglichlaufens standen unter einem sehr zufriedenen Stern, getragen von Gesundheit, Stärke, Frieden und ungekannter Kraft. Die absolvierten 5109 Jahreskilometer des Jahres 2012 darf man gerne als Symbol der genußvollen Zufriedenheit interpretieren und damit komme ich zu der gewichtigen Schwäche in diesem meinem Täglichlaufen – der Routine. Man nimmt all das als Selbstverständlichkeit hin und ja, das ist es nicht – nicht im Ansatz. Der bewußten gesundheitlichen Demut zum Trotz, die ich wiederholt betont habe. Oder mit anderen Worten formuliert:
Sie ist in uns. Sie gehört zu uns. Sie ist ein essentieller Bestandteil von uns. Sie lebt in uns. Es ist ein Gefühl – so gewaltig, daß wir es selten konzentriert wahrnehmen. Eine Art Gefühl, welches ein Schattendasein fristet. Elementares Empfinden. Oder aber auch Nichtfühlen, Verdrängen und Nichtempfinden. Wir nehmen sie hin, einfach so. Meistens unbewußt. Wir denken nicht weiter darüber nach. Nicht, wenn wir nicht müssen; wenn wir nicht dazu gezwungen werden. Sie kümmert uns nicht. Wir ignorieren sie. Nicht selten verletzen wir sie, treten und vergewaltigen sie auf brutale Weise. Lange nimmt sie es gleichmütig hin, freilich nur bis zu einem individuellen Grad. Dann bekommt sie Risse, wiederholt geringfügiger Natur – auch das ignorieren wir manchmal. Wir hören nicht auf sie. Oder erst, wenn es zu spät ist. Doch irgendwann ist die Grenze endgültig überschritten, dann wehrt sie sich. Irgendwann tut es weh. Wir nehmen sie erst dann bewußt wahr, wenn sie beschädigt ist oder wenn sie sich verflüchtigt und uns damit ihre Macht demonstriert. Ja, wenn die selbstverständliche Routine vehement durchbrochen wurde, dann dringt sie mit Autorität in unser Bewußtsein. Unschwer zu erraten, wovon ich hier schreibe. Wir kennen sie alle; es geht um unser Befinden – um die Gesundheit.
Wohlan, nach Jahren der Routine brach das fragile Konstrukt der Gesundheit gestern unter meinen Füßen ein. In welcher Form auch immer, das ist hier an dieser Stelle nicht relevant. Was für mich indessen besonders erschreckend war, mit welchem Gleichmut ich die Fortsetzung meiner Philosophie zur Disposition stellte. Soll heißen, temporär war ich davon überzeugt, das Serienende vor meinen Augen zu haben und – es war mir mehr oder weniger egal. Erschreckend. Diese Gleichgültigkeit habe ich von mir nicht erwartet, nicht nach 11 Jahren und 09 Monaten Täglichlaufen in Serie. Schlußendlich lief ich am Abend doch noch eine kurze Runde und auch heute legte ich mir ein Zwangskorsett an, was freilich im besonderen Maße für die Distanz und die Geschwindigkeit galt. Welch eine Herausforderung, so langsam zu laufen! Wie habe ich die sechs Wildschweine beneidet, die ich heute beobachten durfte; im leise hernieder prasselnden Nieselregen. So sei es, das ist das Leben. Irgendwann wird der Tag kommen, an dem es keine Fortsetzung mehr geben wird. Doch wie es scheint, wird mir das mehr oder weniger als bedeutungslos erscheinen – vielleicht wird sich die Wehmut auch nur verspäten. Wie dem auch sei, die Vase meines Täglichlaufens kippelte gewaltig und flog bereits von ihrem hohen Tisch, doch – noch – ist sie weich gefallen, und nicht zerbrochen.
Manchmal führt die Gesundheit Angriffe auf unsere Unversehrtheit durch, aus dem Nichts heraus, die uns einfach nur sprachlos machen. Realitäten, die wir nicht verstehen und uns nicht erklären können; gleichwohl muß eine Auseinandersetzung stattfinden; mit welchem Ergebnis auch immer. Die Gesundheit, unser Leben – ein höchst fragiles Konstrukt ohne jeden Zweifel. In jeder Sekunde kann alles vorbei sein, einfach so. Jetzt. Aus dem Nichts.