Archive for the Erkundungen Category

Der stille Wald

Posted in Erkundungen on 12. Mai 2010 by Täglichläufer

Vor wenigen Tagen vollzog ich einen erneuten Erkundungslauf in mir unbekannte Regionen und setzte somit den Aufbruch in die neue Welt fort. Wie erst vor kurzem erwähnt, verlasse ich mein geliebtes Laufareal selten, so daß Erkundungen in der absoluten Minorität sind. Demungeachtet verspüre ich eine latente Sehnsucht in Richtung dieses riesigen Waldes, der sich bisher höchst konsequent vor meiner bewußten Wahrnehmung verbarg. Allein, der Weg dorthin – am Waldrand entlang – zollte einer greifbaren Einsamkeit seinen Tribut, genau wie ich es liebe. Der Forst selbst besteht aus großen Bäumen; eine schier unendliche Anzahl, die sich empor gen Himmel richten; träumerisch recken, nach ihm greifen und doch nie erreichen. In Kombination mit weiten Moosfeldern und dichtem Gras erfährt der sensible Beobachter eine idyllische Atmosphäre – eine Aura der fühlbaren Harmonie.

Zu Beginn musizierten zahllose Vögel und boten herrliche Gesänge feil. Auch der Kuckuck und ein Specht gewährten mir ihre Aufwartung. Die Pfade indes, sind partiell ungebändigt zugewachsen – von einem Weg zu reden, wäre übertrieben. So lief und lief ich in diesem noch unerforschten Wald und selbiger schien kein Ende zu nehmen. Höhen und Senken alternierten beständig; vielleicht ein Symbol auf das Leben selbst? Was mir jedoch sofort auffiel, war das Verstummen jedweden sicht- wie hörbaren tierischen Lebens im Zentrum des Waldes. Lautlosigkeit. Pure Stille. Keine Geräusche. Keine Tiere. Nichts. Wie ungewöhnlich! Einen derartigen Hain habe ich bisher nicht erlebt. Wer weiß, welches Wesen dort lebt und für diesen ruhigen Respekt verantwortlich zeichnet. Trotz aller Bemühungen, welche sich leider als vergeblich erwiesen, gelang es mir nicht den Grund jener ungewöhnlichen Ruhe zu eruieren. Freilich scheint dies nur einen begrenzten Teil des Forstes zu betreffen, denn später setzten die Gesänge wieder ein.

Für meine Verhältnisse ist der Wald relativ groß und obwohl ich nur auf dem „Hauptpfad“ blieb; bis dato ließ ich die vielen Seitenwege noch unerkundet, erschlug mich die Weitläufigkeit mit Engagement. Nicht nur die manifestierte Stille wußte ich zu schätzen, nein, auch die Abwesenheit menschlicher Präsenz. In Zukunft werde ich weitere Erkundungsläufe absolvieren und die Strecken entsprechend meinem Laufgebiet hinzufügen. Irgendwann erreichte ich dann den Ausklang des Weges; ich befand mich nun auf einem richtigen Pfad und zwischen einigem Geäst, was ich berührend passierte, offenbarte sich vor mir ein großer See – um den hier die allgemein bekannte „Läuferautobahn“ führt, welche die meisten Läufer in meiner Stadt präferieren. Ich kehrte um und verwirklichte den Rückweg durch den wunderbaren Wald. Zuvor erlebte ich noch eine witzige Begegnung, mit einem älteren Nordic-Walker, vielleicht 75 Jahre alt – aber der Wert ist nur geschätzt. An dieser Stelle wechsele ich die Perspektive und erzähle das Treffen aus der Sicht des Sportlers. Wenn ich seine Gedanken auch nur erraten kann, so gilt das nicht für die Wahrnehmung.

Unter Einsatz seiner Stöcke absolvierte er allein den Rundkurs des Sees, als sich plötzlich zu seiner linken Hand die Blätterwand bewegte, teilte und aus dem Dickicht ein schwarz gekleideter Mann mit einem großen Sprung direkt vor ihm auf dem Weg landete, kurz grüßte und innerhalb der nächsten Sekunde im Blattwerk der rechten Seite verschwand. Fernab der üblichen Wege. Und ward nicht mehr gesehen. Eine sich auflösende dunkle Erscheinung für eine Sekunde. Wie aus dem nichts. – Was mag er wohl gedacht haben? Da er mir noch einen freundlichen Gruß nachrief, war der Schreck hoffentlich nicht zu immens für ihn, so daß ich geneigt bin anzunehmen, er interpretierte die Situation als nicht bedrohlich. Mittelfristig werde ich den stillen Wald komplett in seinem vielfältigen Spektrum erkunden und eine Phototour wird sich ebenfalls anschließen.

Der verborgene Pfad – in visueller Form

Posted in Erkundungen on 24. August 2009 by Täglichläufer

Ich weiß, daß ich nichts weiß. Das mag zwar korrekt sein – die diffizilen respektive differenten Interpretationen der griechischen Worte von Sokrates lasse ich außen vor – denn diese tiefgründige Diskussion soll nicht mein Thema sein, da ich den Satz nur ein wenig für meinen Artikel adaptiere. Ich sehe, daß ich nichts sehe! Die Aussage trifft den Kern, wenn ich an den vor kurzem von mir neu entdeckten verborgenen Weg denke. Selbigen stelle ich hiermit nun in bildhafter Form vor.

Mein Hauptartikel in Kombination mit diesen Photos erübrigen jedwede erklärende Worte. Dessenungeachtet soll hiermit erwähnt sein, daß auf dem ersten Bild sich der versteckte Zugang verbirgt – von der Natur nahezu perfekt getarnt. In den vergangenen Tagen habe ich den Ort mehrfach aufgesucht, um die Ruhe und Einsamkeit zu genießen. Am Wochenende ist dies ein unmögliches Unterfangen, da von der Seeseite Yachten anlegen und die Wasserfreunde jenen Strand als Baderefugium requirieren. Auch scheint die Lokalität bei den Anhängern des Nudismus überaus beliebt zu sein. Dennoch, oft genug bietet der Strand seine Abgeschiedenheit feil, ein Trumpf, den ich erst im Herbst bei den entsprechenden Wetterverhältnissen wahrhaftig ausspielen kann – als da wären Regen und Sturm – meine über alles präferierten Witterungslagen.

Wenn die vom tobenden Sturm getragenen Wellen mit aller Macht an das Ufer gepeitscht werden; das kühle Naß sich vom finsteren Himmel seinen unaufhaltsamen Weg zur kalten Erde bahnt, meinen Körper als unbedeutendes Hindernis überwindet und in stillen Rinnsalen behutsam zu Boden gleitet, der Horizont in der beharrlichen Dunkelheit verschwimmt, die Zeit für alle Ewigkeit in diesem Moment konserviert zu sein scheint – als Spiegel der Seele gleichsam zu einem Tor des vergangenen und zukünftigen Lebens und die Äste und das Schilf durch zahlreiche Böen sich der atemlosen Kraft des windigen Hauches beugen – ja, dann ist meine Zeit gekommen – wenn ein Traum Wirklichkeit wird!

Der verborgene Pfad

Posted in Erkundungen on 11. August 2009 by Täglichläufer

Man darf annehmen, daß ich als langjähriger Täglichläufer mein geliebtes Laufareal überaus intensiv erkundet habe; ich sollte dort im Schlaf jeden nur erdenklichen Weg kennen und in der Tat beschäftige ich mich bisweilen sogar im Traum damit. Sämtliche Steine, Grashalme und Baumwurzeln sollten mir vertraut sein. Tatsächlich sind mir all die geheimnisvollen Orte bekannt – melancholische Halbinseln, romantische Uferplätze, offensichtliche Wege, die in die Endlichkeit verzweigen und wiederum andere Wege, die ein sicheres Ende suggerieren und dennoch weiterführen. Freilich war ich geneigt anzunehmen, daß ich meine Laufwelt nahezu perfekt erforscht habe. Doch ich sollte mich irren.

Vergangenen Sonntag. Im letzten Drittel der Dammstrecke unterbrach ich meinen unangenehmen Lauf in sengender Hitze, um ein angeregtes Gespräch zu führen. Von der einzigen Zufahrt aus näherte sich uns eine Frau auf dem Fahrrad. Sie hatte ebenso wie meine Gesprächspartner einen Hund dabei, der inhaltlich einen kurzen Wortwechsel legitimierte. Sie verabschiedete sich mit den Worten, daß sie nun baden will. Wir setzten die Unterhaltung fort und ich schickte der Dame noch einen Blick hinterher, der jedoch ins Leere traf – da sie urplötzlich verschwunden war. Einfach so. Innerhalb weniger Sekunden in das mysteriöse Nichts verflüchtigt. An diesem Punkt des Dammes existieren keine Biegungen, keine Wege oder Abzweigungen und dennoch löste sie sich vor meinen Augen in Luft auf. Ich konnte mir ihr Verschwinden nicht erklären, was mich leicht irritierte. Anschließend konzentrierte ich mich wieder auf die Unterredung und dachte nicht weiter darüber nach.

Gestern früh passierte ich erneut jene Höhe, wo besagte Dame augenscheinlich verloren ging. Dieses Mysterium vor Augen hielt ich an und inspizierte die Baumreihen auf der zugewandten Seeseite. Der erhöhte Damm verliert sein Ausmaß und sinkt an den Flanken ab; der sich dort anschließende Erdboden wird von ungewöhnlich braunen Farben dominiert, einige Äste hängen tief und berühren partiell fast den Boden. Das Blätterwerk erscheint allmächtig – ein Zugang war nicht ersichtlich. Ich begab mich in die Richtung der großen Bäume, die relativ dicht nebeneinander stehen. Ein letzter Blick zum Damm offenbarte mir, daß ich vom selbigen aus nun nicht mehr zu sehen sein würde. Zwischen zwei Bäumen entdeckte ich eine verborgene Passage, die man von vorne unmöglich erkennen konnte. Nachdem ich die Gesellen des Waldes im Rücken hatte, blickte ich auf einen freien Streifen, der die Vorhut von zahllosen Sträuchern, Schilf und Gestrüpp bildete – in der Mitte schlängelte sich währenddessen ein kraftlos ausgetretener Pfad, der abrupt endete. Mittlerweile vermutete ich, daß auch dieser Weg nur auf Grund der Perspektive vorzeitig sein jähes Ende fand, was mir sogleich bestätigt wurde.

Der Weg setzte sich in ausgeprägten Schlangenlinien flankiert von Schilf und Unterholz zahlreiche Schritte fort, durch einen regelrechten Gestrüppwald, der meterhoch in den Himmel ragte und mich mit seiner drohenden Umarmung aufzuhalten schien. Irgendwann war der geschützte Ausklang erreicht. Vor mir lag ein wunderbarer kleiner Strand mit weißem Sand, der leise zu einem liebevollen Ufer führte, welches sich in unbändiger Liebe mit dem Wasser zärtlich vereinigte und behutsam abwärts in den See hinein segelte. Diese gleichermaßen geheimnisvolle wie schwer zugängliche Lokalität habe ich unverzüglich zu meinem Lieblingsplatz auserkoren. Ja, ich war ob des sauberen Badestrandes schlichtweg begeistert, wenngleich auch ein wenig betrübt, daß sich seine Existenz so viele Jahre meinem Wissen entzog. Tag für Tag, Jahr um Jahr lief ich an diesem natürlichen Schatz vorbei – ohne dessen Kenntnis – wie konnte ich das ahnen?

Ich freue mich auf jenen düsteren Tag in der fernen Zukunft, der von böigen Sturmwellen und kalten Regenfronten par excellence beherrscht sein wird – dann werde ich mich an den versteckten Ort zurückziehen und das Leben erneut fühlen. Vorfreude ist wahrhaftig die schönste Freude. Und wer weiß, vielleicht erspähe ich noch weitere geheime Orte, die sich bisher in ihrer Natürlichkeit erfolgreich tarnen konnten. Einmal mehr habe ich gelernt, daß nichts ist wie es scheint. Es ist stets reizvoll, die Welt hinter der Welt zu entdecken, sei es bewußt, unbewußt oder wie hier beschrieben durch einen Zufall, der mich direkt daraufhin wies. Ein unbedeutender Lauf, der in seinem Verlauf eine knisternde Spannung entwickelte und zu einem Ereignis wurde, welches in dieser Form nicht alltäglich für mich ist. Das Wissen um diesen Ort ist für mich ein herrliches Geschenk, was ich sehr zu schätzen weiß.